Chronos
seltsamer Gedanke, dass er Besitzansprüche auf einen Fluch (oder was immer hier passierte) anmeldete. Aber hatte Archer nicht genau das Gleiche getan? All dieses Gerede von Magie, als wäre dies sein ganz persönliches Wunder.
Aber es war nicht Archer gewesen, dessen Name in einem Traum genannt worden war. Es war nicht Archer gewesen, der am Fenster gestanden, die Schatten der Kiefern beobachtet und eine Stimme unter ihrem Seufzen und Ächzen zu hören geglaubt hatte. Tom Winter hatte die Stimme gesagt. Und jetzt, nachdem er tief und fest geschlafen hatte, kam es ihm so vor, als wäre da noch eine andere Botschaft gewesen, weniger deutlich, aber durch die Erinnerung etwas klarer:
Hilf uns, hatten die Stimmen gesagt.
Hilf uns, Tom Winter. Bitte, hilf uns.
Archer erschien am gleichen Nachmittag mit einem Videorekorder, einer Sony-Videokamera und einem Stativ. Er hatte alles im Kofferraum seines Wagens verstaut.
Tom half ihm beim Ausladen und beim Aufbau der Geräte im Wohnzimmer. Dort wirkten die Gegenstände wie die Requisiten aus einem Science-Fiction-Film. Er machte zu Archer eine dementsprechende Bemerkung. Archer zuckte nur die Achseln. »Das ist es doch auch, was wir hier spielen, oder etwa nicht?«
»Ich betrachte das Ganze nicht unbedingt als Spiel. Ich wohne und lebe schließlich hier.«
»Sie leben hier. Ich spiele.«
»Das ist kein Huckleberry-Finn-Abenteuer, Doug. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Mir macht das Ganze nicht sehr viel Spaß.«
»Ist während der Nacht irgendetwas passiert, oder haben Sie nur schlechte Laune?«
»Nein, nichts ist passiert.« Die Frage bereitete ihm Unbehagen. »Wofür soll das alles gut sein?«
»Zur Beobachtung. Das Auge, das niemals schläft. Sehen Sie mal.«
Tom schaute durch den Sucher der Videokamera. Sie war auf die Küche gerichtet und fing einen ziemlich großen Ausschnitt des Raums ein. Zu sehen waren auch die Stahlspüle und die geflieste Ablage. Eine Digitaluhr in einer Ecke des Bildes auf dem Schirm gab das Datum, die Stunde, die Minute und die Sekunde an.
Archer erklärte: »Die Kamera ist an den Videorekorder angeschlossen, und ich stelle den Timer auf Mitternacht ein. Bei der langsamsten Geschwindigkeit haben wir Videoband für etwa acht Stunden zur Verfügung. Man überlässt alles sich selbst, schläft selig, und morgen früh sehen Sie, was wir festgehalten haben.«
Tom schüttelte den Kopf. »Das werden sie wohl nicht mit sich machen lassen.«
Archer betrachtete ihn neugierig.
Tom nahm sein Auge vom Sucher. »Und was unternehmen wir in der Zwischenzeit?«
»Ich denke, am logischsten wäre es, wenn wir die Küche in Unordnung bringen.«
Archer hatte noch mehr mitgebracht als nur elektronische Geräte. Vom Rücksitz seines Wagens holte er zwei Sixpacks Bier, eine Tüte Kartoffelchips und eine Schüssel Quarkspeise, die seine Freundin zubereitet hatte.
»Sie leben ja wie ein Student«, sagte Tom.
»Gibt es etwas Besseres?« Archer nahm sich eine Dose Bier. »Zum Abendessen können wir uns ja eine Pizza kommen lassen.« Er reichte Tom eine Dose, dann verzog er skeptisch das Gesicht. »Moment mal, Sie waren doch mal Alkoholiker, nicht wahr? Ich möchte Sie jetzt nicht in Versuchung führen.«
»Ich war reiner Hobbytrinker«, sagte Tom, »und kein Profi.« Aber er ließ die Finger vom Bier.
Der Nachmittag schleppte sich dahin. Es war ein sonniger, warmer Tag, und Tom öffnete die Haustür und die Hintertür, damit der Durchzug etwas Kühlung brachte. Die Luft roch nach heißem Kiefernharz.
Archer schob seinen Stuhl ein Stück nach hinten und legte seine Füße auf den Küchentisch. »Sie waren in der Sea View Elementary. Danach auf der Highschool drüben an der Jackson, nehme ich an, so wie alle anderen im Ort. Ziemlich beschissene Schulen, wenn Sie mich fragen.« Und dann unternahmen sie eine nostalgische Reise durch ihre Vergangenheit. Barbara hatte es mal ein »fröhliches Bad im trüben Tümpel der Erinnerungen« genannt. Es stellte sich heraus, dass die Schwierigkeiten, in die Archer sich auf der Highschool manövriert hatte, weitaus ernsthafter und persönlicher waren als aus jugendlichem Übermut auf vorbeifahrende Autos geworfene Steine. Er hatte einen Zermürbungskrieg gegen seinen Highschool-Rektor und gegen seinen Vater geführt – zwei strenge Zuchtmeister, die zufälligerweise auch noch Pokerfreunde waren. Archer hatte ihnen unendlich oft zugehört, wenn sie abends bei Salzgebäck und einem Kartenspiel ihrem Hass auf
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