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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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Kinder Luft machten. Sein Vater war Techniker für elektrische Haushaltsgeräte, erzählte Archer, und hatte eine tief in seiner Persönlichkeit verwurzelte Abneigung gegen Kinder. Der Schulrektor, Mr. Mayhew, hatte berufliche Gründe für seinen Hass und galt als Experte auf diesem Gebiet. Jackson Archer, der seinen eigenen Sohn häufig mit einem Ledergürtel verprügelte, sagte dazu, dass Mr. Mayhew dieses Gewerbe als seinen Lebensunterhalt betrieb und es wahrscheinlich viel besser beherrschte. Tatsächlich beschränkte er sich auf Schläge mit einem Lineal auf den Handrücken, was sehr schmerzhaft war, ohne jene sichtbaren Verletzungen hervorzurufen, die Mütter am nächsten Tag wutschäumend in die Schule stürmen ließen – vielleicht war es allein diese Spezialität, die ihn als Experten auswies. Archer stellte die Theorie auf, dass sie ihre Verluste beim Pokern an ihm abreagierten. Er lernte schnell, jeweils demjenigen von beiden aus dem Weg zu gehen, der am Sonntagabend Geld losgeworden war.
    »Das hat Sie aber nicht davon abgehalten, Schwierigkeiten zu bekommen«, stellte Tom fest.
    »Es hielt mich nicht vom Trinken, Rauchen und Fahren mit schnellen Wagen ab. Nein. Aber ich habe nie geglaubt, sie könnten wirklich wollen, dass ich damit aufhöre. Es machte ihnen viel zu viel Spaß.«
    »Hat diese Geschichte eine Pointe?«
    »Als ich sechzehn war, setzte ich den Pontiac meines Vaters gegen einen Baum. Totalschaden. Ich bekam nichts ab, aber ich bin ohne Führerschein gefahren. Sie schickten mich dann mit freudiger Zustimmung des Jugendgerichts auf eine sogenannte Militärschule. In Wirklichkeit war es natürlich ein Konzentrationslager für halbwüchsige Psychopathen.«
    »Und was haben Sie dort getan?«
    Archers Lächeln erstarb. »Ich fraß Scheiße wie alle anderen Insassen. Diese Einrichtungen sind genauso schlecht wie ihr Ruf, Tom. Sie können einen verstockten rebellischen Teenager in einen verstockten und unterwürfigen verwandeln – einfach so. Ich fraß zwei Semester lang Scheiße und kam zurück, als mein Vater gestorben war. Meine Mutter sagte: › Ich konnte dich nicht dort lassen.‹ Ich bedankte mich bei ihr, und als sie mit mir vor dem Sarg stand – ich, verdammt noch mal, in voller Paradeuniform –, schaute ich auf den Sarg und sagte: › Ihr könnt mich alle mal, du und dein Poker und dein Herzinfarkt auch.‹«
    Für einige beklommene Sekunden lang wurde es in der Küche ganz still. Dann räusperte Tom sich. »Sie haben ihm nie verziehen?«
    »Er war ein einsamer, feindseliger Mensch, der mir niemals verzieh, geboren worden zu sein und sein Leben kompliziert gemacht zu haben. Vielleicht bin ich großmütiger. Eines Tages ganz bestimmt.« Er nahm einen langen Schluck Bier. »Wie ist es mit Ihnen? Sie sind auch ein Opfer Ihrer Kindheit?«
    »Ich hatte eine durchaus glückliche Jugend. Jedenfalls hat niemand mich auf eine Schule mit militärischem Drill geschickt.«
    »Das ist nicht die einzige Art und Weise, auf die man leiden kann.«
    »Ich kann nicht behaupten, dass ich gelitten habe. Nicht wesentlich. Dad hätte das nicht zugelassen.«
    »He, Moment mal. Winter? Doktor Winter? Hatte der nicht mal eine Praxis auf der Poplar Street?«
    »Richtig.«
    »Scheiße, ich kannte Doc Winter! Ich war mit einem durchgebrochenen Blinddarm dort, als ich zehn Jahre alt war. Mein Vater sagte: › Der Junge klagt über Bauchschmerzen.‹ Ich wand und krümmte mich vor Schmerzen. Ihr Dad sah mich an und telefonierte mit dem Krankenhaus und verlangte einen Krankenwagen. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, wandte er sich an meinen alten Herrn. ›Sie haben Ihren Sohn beinahe umgebracht, weil Sie so lange gewartet haben. Wenn es eine Erlaubnis gäbe für die Ausübung der Vaterschaft, dann würde ich die Ihre sofort für ungültig erklären lassen.‹ Obgleich ich mich furchtbar mies fühlte, erinnerte ich mich daran. Es war ganz toll. Mein Gott, der Sohn von Doc Winter! Aber ist er nicht ...«
    »Meine beiden Eltern starben bei einem Autounfall«, sagte Tom. »Vor etwa zwölf Jahren. Ein Holzlaster drückte sie von der Fahrbahn, als er auf der Küstenstraße um eine Kurve bog.«
    »Wie alt waren Sie damals?«
    »Ich hatte gerade die Highschool abgeschlossen.«
    »Schlimme Sache«, sagte Archer.
    »Ich war am Leben. Die Versicherung bezahlte mir das Ingenieurstudium. Viel hat es mir nicht genützt. Aber, wissen Sie, das alles entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ich dachte immer, Dad sei Arzt geworden,

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