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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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weil er die Welt für einen schlimmen, gefährlichen Ort hielt. Er hatte ein Gespür für die menschliche Verletzbarkeit – für die Anfälligkeit des menschlichen Körpers. Er erklärte mir mal, der menschliche Körper sei ein Sack aus Haut voller lebenswichtiger Organe und mit etwas noch Empfindlicherem darin, nämlich dem Leben selbst.«
    »Wahrscheinlich ist das nicht gerade die beste Einstellung für einen Jungen«, sagte Archer.
    »Aber er hatte recht. Ich begriff es, als die Polizei an dem Tag, an dem der Truck seinen Wagen zerquetscht hatte, vor der Tür stand. Das System kennt keine Nachsicht, kein Verzeihen. Ich habe es Barbara Dutzende von Malen gesagt. Sie zog ständig los, um die Wale zu retten, die Bäume zu schützen oder um für wer weiß was alles zu kämpfen. Es war rührend. Aber in meinem Hinterkopf hörte ich ständig Dads Stimme: ›Das Ganze bewirkt nichts anderes als einen Aufschub. Im Grunde wird überhaupt nichts richtig gerettet.‹ Barbara betrachtete den Treibhauseffekt als eine Art Virus, als etwas, das man mit dem richtigen Impfstoff besiegen könnte. Ich erklärte ihr, es sei ein Krebs – der Krebs der Menschheit an den Lebensorganen der Erde. So etwas könne man durch Protestmärsche nicht aufhalten.«
    »Klingt das nicht ein wenig nach Kapitulation?«
    »Ich denke eher, es bedeutet, dass man Tatsachen akzeptiert.«
    Archer stand auf und ging zur Tür, wo seine Silhouette den Blick auf die schwankenden Bäume versperrte.
    »Eine sehr düstere Einstellung, Tom.«
    »Die Erfahrung bringt einen dazu.«
    Gegen sechs Uhr, als die Sonnenstrahlen durch das Fenster über der Spüle drangen und die Küche sommerlich warm wurde, zogen sie um in die kühlere Halbdämmerung des Wohnzimmers. Tom telefonierte mit dem Deluxe Pizza Service in Belltower und bekam fünf Dollar Liefergebühr zusätzlich berechnet, »weil wir gewöhnlich nicht so weit rauskommen«. Die Bestellung traf eine Stunde später ein – Peperonipizza mit Anchovis bei Zimmertemperatur. Nachdem er den Fahrer entlohnt hatte, zog Tom die Vorhänge zum Garten auf, wo die Schatten der Kiefern merklich länger wurden. Sein Appetit war vergangen. Er aß ein paar Happen und brachte dann seinen Teller in die Küche. Auf dem Rückweg umrundete er nachdenklich die Videokamera, die auf ihrem Stativ lauerte wie ein Wächter von einem anderen Stern. »Das wird ihnen nicht gefallen«, sagte er wieder.
    Archer schaute von seiner Pizza hoch, die ihm zu munden schien. »Ja, das haben Sie schon mal gesagt. Wer sind sie?«
    »Ich weiß es nicht.« Tom hob die Schultern. »Aber haben Sie denn nicht das Gefühl, dass hier irgendeine Intelligenz am Werke ist?«
    »Ich dachte nicht, dass wir mit unseren Vermutungen so weit gehen würden. Vielleicht haben Sie es hier nur mit besonders sauberen und ordentlichen Kakerlaken zu tun.«
    »Allmählich sehe ich das etwas anders.«
    »Haben Sie dafür einen speziellen Grund?«
    Die Träume, dachte Tom. Die Träume, die Löcher im Hausfundament ... und ein Gefühl, eine Ahnung. »Nein, es gibt keinen speziellen Grund.«
    »Was Sie beschrieben haben«, sagte Archer, »lässt weniger auf eine Intelligenz schließen als vielmehr auf eine Maschine. Auf einen von diesen sturen Apparaten, die einfach weiterlaufen, während der Eigentümer Urlaub macht.«
    »Wer soll denn der Eigentümer sein? Der Typ, der hier gewohnt hat – Ben Collier?«
    »Warum nicht? Leider ist es unmöglich, mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Er ist völlig unbekannt. Joan Fricker im Lebensmittelladen oben am Highway müsste ihn öfter gesehen haben als alle anderen, aber ich bezweifle, dass sie eine genaue Beschreibung von ihm geben kann. Er zeigte sich niemals bei öffentlichen Anlässen, lud niemanden zu sich ein, schrieb niemals irgendwelche Leserbriefe. Er sagte nicht mehr als ›Hallo‹, wenn er jemanden sah. Der Einzige, der sich an etwas Spezielles im Zusammenhang mit Ben Collier erinnern kann, ist Jered Smith, der ihm die Post gebracht hat.«
    »Bekam er denn Post?«
    »Laut Jered abonnierte Ben Collier jedes Magazin, jede Illustrierte, die man kriegen konnte, oder zumindest schien es so. Einige waren noch nicht einmal in Englisch. Jeden Tag brachte Jered fünf bis zehn Illustrierte und Zeitungen zu ihm. Magazine, sagt er, sind schwer – und damals war er noch zu Fuß unterwegs, allerdings bekam er im vergangenen Jahr einen Lieferwagen von der Post. Das war der erste Hinweis darauf, dass Ben Collier verschwunden war. Jered

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