Chronos
nicht mehr, dass ein Krieg ausbricht.«
Archer sah ihm in die Augen. »Ich bin zweiunddreißig, und ich bete noch immer, dass Magie existieren möge.«
»Ist es das, womit wir es hier zu tun haben?«
»Mit etwas Außerordentlichem auf jeden Fall. Es sei denn, Sie sind wirklich verrückt.«
»Das ist eine Möglichkeit«, sagte Tom. »Manchmal sehen Verrückte irgendwelche Dinge. Ich hatte mal eine Tante, Emily hieß sie, die sich immer mit Jesus Christus unterhielt. Er wohnte auf dem Speicher. Ab und zu kam er runter in ihr Zimmer, und sie hielten ein Schwätzchen, während sie sich die Haare bürstete. Alle in der Familie fanden es furchtbar lustig. Dann, eines Tages, schnitt Tante Emily sich in einer Badewanne voll warmen Wassers die Pulsadern auf. Ihr Vermieter fand sie eine Woche später. Sie hinterließ eine Nachricht, dass Jesus ihr befohlen hätte, es zu tun.«
Archer dachte für einen Moment darüber nach. »Sie behaupten also, es geht um irgendwelche wichtigen Dinge.«
»Wie man es betrachtet. Es geht um meine Normalität. Oder um die Normalität ganz allgemein.«
»Auf die Normalität allgemein können Sie pfeifen.«
»Dann eben um meine eigene.«
»Sie wollen, dass ich Sie ernst nehme«, sagte Archer. »Okay. Prima. Aber ich kenne Sie nicht. Sie sind jemand, dem ich ein Haus verkauft habe. Jemand, der eine Klasse unter mir die Sea View Elementary besucht hat. Sie scheinen ein ganz vernünftiger Bursche zu sein. Aber eines sollten wir im Auge behalten, Tom. Sie haben mich gerufen, weil Sie die Bestätigung suchen, normal zu sein. Ich will aber etwas mehr.«
Tom lehnte sich in seinem Sessel zurück und dachte darüber nach. Offenbar hatte die Zeit Douglas Archer nicht gezähmt. Vielleicht war es wichtig, sich daran zu erinnern, dass man ins Gefängnis kommen oder eine empfindliche Geldstrafe dafür bekommen konnte, wenn man Buick-Limousinen mit Steinen bewarf, vor allem, wenn man alt genug war, um sich die Folgen ausmalen zu können. Tom hatte für Belltower nicht besonders viel übrig, aber er wollte auch nicht, dass ein Meer von Purpurwinden unten auf den Parkplätzen den Verkehr zum Erliegen brachte, obgleich Tony sich furchtbar darüber aufregen würde.
Dennoch lag in Archers Haltung etwas Verführerisches, speziell nach einer Nacht größter nervlicher Anspannung, die an Hysterie grenzte. Er sagte: »Kennen Sie einige der alten Wege und Trampelpfade hier oben?«
Archer nickte.
»Dann lassen Sie uns doch mal das Gelände hinter dem Haus untersuchen.« Tom erhob sich. »Danach können wir ja überlegen, was wir tun sollen.«
Sie folgten einem alten, beinahe vollständig zugewachsenen Fußweg in den dichten Wald hinter dem Garten.
Tom hatte vergessen, wie es war, wenn man durch diese nordwestpazifischen Kiefernwälder wanderte, über den dichten Moos- und Farnteppich und die Sumpfflächen. Er folgte dem breiten Rücken von Archers kariertem Holzfällerhemd den Pfad entlang, bückte sich unter tief hängenden Ästen hindurch oder stieg mit einem großen Schritt über kleine, glänzende Regenwassertümpel hinweg. Der Lärm vorbeifahrender Autos auf der Post Road wurde leiser, als sie einen kleinen Abhang nach Westen hinaufstiegen. Das ganze Gerede von Magie – sowohl seines wie auch Archers – erschien hier viel einleuchtender.
Archer sagte: »Vor hundert Jahren lebten hier Indianer. Zwischen den Kiefern stand mal ein Totempfahl, aber den haben sie ins Stadtmuseum geschafft.«
»Wer benutzt diesen Weg?«
»Die Kinder der Hopfners unten an der Straße haben ihn benutzt, aber die zogen schon vor längerer Zeit weg. Wanderer kommen manchmal hier herauf. Es gibt eine Anzahl Wege, die unten von der Siedlung an der Poplar Road hier heraufführen. Unten bei Ihrem Haus sind sie fast alle zugewachsen. Ich glaube nicht, dass heute noch jemand hier vorbeikommt.«
Er blieb hinter Archer stehen, als der Weg sich gabelte und über eine freie Wiese voller Disteln und Feuerkraut führte, vorbei an einem alten Wellblechschuppen, der mit Efeu überwuchert war. Wahrscheinlich hatte jemand hier sein Kaminholz gelagert, dachte Tom, als er den windschiefen, teilweise mit Moos bewachsenen Bau betrachtete. Archer drang weiter in den dichten Wald vor, und Tom folgte ihm, bis sie wieder vom tiefen Schatten der Bäume umgeben waren.
Sie marschierten länger als eine Stunde weiter, stiegen dabei ständig aufwärts durch den Kiefernwald, bis sie eine felsige Kuppe erreichten. Archer kletterte auf den höchsten
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