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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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Punkt, drehte sich um und reichte Tom für die letzten Meter eine Hand. »Wir sind ganz schön hoch hinaufgekommen«, sagte er, und Tom wandte sich um und war überrascht von dem weiten Blick, nicht nur auf die Post Road, sondern bis hin zur Küste. Unter ihm drängte Belltower sich um die Bucht, und über der Papierfabrik stand eine graue Qualmwolke.
    »Deshalb kommen die Leute hier herauf«, sagte Archer. »Es ist kein viel begangener Weg, und nur wenige kennen ihn. Wenn wir an der Gabelung dem anderen Arm gefolgt wären, hätten wir schon bald mitten in einem Sumpf gestanden. Hier herauf ist es aber sehr schön.«
    »Gibt es einen Namen für diese Stelle?«
    »Irgendjemand hat sie sicherlich getauft. Alles hat einen Namen, nehme ich an.«
    »Kommen Sie oft hierher?«
    »Ab und zu. Ich finde die Aussicht schön. Von hier oben sieht alles wundervoll aus – an schönen Tagen jedenfalls. Sogar dieser verdammte Parkplatz.«
    »Sie hassen diese Stadt«, stellte Tom fest.
    Archer zuckte die Achseln. »Wenn ich sie hassen würde, wäre ich längst weg. Obgleich ich nach dem, was ich bisher gesehen habe, daran zweifle, dass ich irgendwo etwas deutlich Besseres finden würde. Hass ist ein zu starkes Wort. Aber ich verabscheue sie sehr ... manchmal.« Er hielt inne und musterte Tom von der Seite. Dabei schirmte er seine Augen vor der Sonne ab. »Ich gebe allerdings zu, dass ich gerne wissen würde, was Sie hierher zurückgeführt hat.«
    »Sie haben mich nie danach gefragt.«
    »Das wäre unhöflich. Vor allem dann, wenn jemand ganz eindeutig nicht darüber reden will.« Er wandte sich wieder der Aussicht zu. Die Sonne war intensiv. »Oder wäre es doch nicht so unhöflich?«
    »Meine Frau hat mich verlassen«, sagte Tom. »Dann verlor ich meinen Job. Ich habe zu trinken angefangen, um darüber hinwegzukommen.«
    Archer betrachtete ihn jetzt etwas eingehender.
    Tom hielt dem Blick stand und hob die Schultern. »Sie fragen sich wahrscheinlich, ob man einem Alkoholiker trauen kann, wenn er des Nachts seltsame Dinge gesehen haben will. Kann ich verstehen. Aber es ist schon länger als einen Monat her, dass ich das letzte Mal einen Tropfen Alkohol angerührt habe. Um ganz ehrlich zu sein, es wäre mir fast lieber, wenn ich wüsste, dass das Ganze auf ein Delirium zurückzuführen ist.«
    »Wie lange haben Sie getrunken?«
    »So richtig? Seit ich aus dem Job geflogen bin. Drei Monate vielleicht.«
    Archer nickte. »Dazu fallen mir einige unbequeme Fragen ein.«
    »Als da wären?«
    »Viele Menschen verlieren ihren Job. Viele Menschen lassen sich scheiden. Nicht alle landen bei der Flasche.«
    Es gab viele Antworten auf diese Frage. Die knappste war: Das geht Sie gar nichts an. Aber wahrscheinlich hatte er selbst dafür gesorgt, dass es Archer etwas anging. Er hatte schließlich das Thema seiner eigenen seelischen Stabilität zur Sprache gebracht. Es war keine feindselige Frage.
    Er konnte sagen: Ich war zehn Jahre lang mit einer intelligenten, nachdenklichen Frau verheiratet, die ich innig geliebt habe und deren Misstrauen stetig zunahm, bis es wie ein Messer zwischen uns wirkte.
    Er könnte von Barbaras politischem Aktivismus erzählen, von ihrer Überzeugung, dass die Welt sich am Rand einer ökologischen Katastrophe befand. Er könnte erklären, dass seine Arbeit als Ingenieur bei Aerotech sie einander entfremdet hatte, dass sie angefangen hatte, ihn als das lebende Beispiel für den Moloch Technik zu betrachten. Seine Intelligenz diente der Kriegsindustrie, die in ihren Methoden so vielschichtig und so einfältig in ihren Zielen war, dass die Erde von ihr völlig ausgelaugt und in eine einzige Wüste verwandelt wurde.
    Er könnte vielleicht auch eines ihrer Argumente anführen. Er könnte seine ständige, geduldige Beteuerung wiederholen, dass die Maschinen, die er entwarf, überaus sparsam im Treibstoffverbrauch waren. Dass seine Arbeit, auch wenn sie nicht gerade der Suche nach dem ökologischen Gral geweiht war, immerhin mithelfen könnte, dass die Luft in der Umgebung größerer Städte besser wurde. Für Barbara waren dies billige Rechtfertigungsversuche. Sie warf ihm vor, sich mit untauglichen Lösungen für ein überwältigendes Problem aufzuhalten. Eine bessere Verbrennungsmaschine würde niemals die Regenwälder in Brasilien oder die Redwoods in Kalifornien wiederherstellen. Woraufhin Tom erwiderte, dass es auf jeden Fall verdammt noch mal viel produktiver sei, als sich mit einer Kette an das Tor einer Papierfabrik

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