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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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durch Belltower. Doch dabei musste er feststellen, dass die Durchgangsstraße, die er in Erinnerung hatte (die Newcastle hinunter bis zur Brierley), verbreitert worden war und zum Highway abzweigte. Er war bisher noch nie dort entlanggefahren, und der Abstecher brachte ihn durcheinander. Es war eine Reise durch Altbekanntes hin zu etwas völlig Neuem. Da war die Sea View Elementary auf dem grünen Hügel und die Highschool eine Viertelmeile weiter südlich, einander ähnliche Gebäude aus lachsfarbenem Klinker, so greifbar und klar in der Erinnerung, dass es ihn nicht überrascht hätte, den neunjährigen Doug Archer herausrennen zu sehen, um seinen Wagen mit einer Salve Steine einzudecken. Aber der Zeitungskiosk war mittlerweile eine Videospielhölle, und wo Woolworth's einst gewesen war, befand sich jetzt ein Cineplex. Schon wieder hatte sich die Welt verändert, während er ihr den Rücken zugewandt hatte.
    Sie war verfallen, hätte sein Vater vielleicht gesagt. Wie die Erde selbst, hätte Barbara ihn erinnert. Schmutz erfüllte die Atmosphäre und schmolz die Polkappen. Barbara war einer der wenigen Menschen in Toms Umgebung, die vom Vorhandensein des Treibhauseffekts überzeugt waren und gleichzeitig glaubten, dass er aufgehalten werden konnte. Es war das labile Gleichgewicht des Aktivisten. Gestörte Thermodynamik, hätte sein Vater ihr erklären können. Man kann einen Tod aufschieben, aber man kann einen Menschen nicht unsterblich machen. Das Gleiche galt sicherlich auch für einen Planeten. Er wurde durch den Gebrauch nicht besser. Dinge verfallen. Der Beweis dafür war ringsum zu erkennen. Der Beweis war sein eigenes Leben.
    Das mag ja sein, hätte Barbara erwidert, aber wir können wenigstens kämpfend untergehen. Sie hatte daran geglaubt, dass halbe Sachen immer noch besser waren als gar keine; dass sogar eine unwirksame Moral im Jahrzehnt der Reaganomics, der Entwurzelten und der Videokirche nützlich war. Ihre Stimme war in seiner Erinnerung laut und deutlich zu vernehmen.
    Sie war mein Gewissen , dachte Tom.
    Aber die Moral – die Moral der Waffenforschung oder die Moral des Verkaufens von Automobilen – entwand sich immer wieder seinem Zugriff. Er hatte sich um zwanzig Minuten verspätet, als er im Laden ankam, aber keine Käufer waren zu sehen, und niemand schien auf die Uhrzeit zu achten. Die Verkäufer umringten den Cola-Automaten und erzählten sich Witze. Tom hatte die Stempeluhr bedient und stand nun hilflos auf dem Gelände herum und sah den vorbeirasenden Autos nach – während er über Barbara und über das Haus nachdachte –, als Billy Klein, der Geschäftsführer, sich ihm von hinten näherte und ihm einen Arm um die Schultern legte. Klein war am ganzen Körper breit, breitschultrig und breithüftig und mit einem breitflächigen Gesicht. Sein Lächeln signalisierte raubtierhafte Energie und automatische, falsche Herzlichkeit – ein durch und durch fleischfressendes Grinsen. Tom wandte den Kopf und atmete einen Schwall mit Pfefferminz gewürzten Atems ein. »Kommen Sie mit«, sagte Klein. »Ich zeige Ihnen mal, was ich mit Verkaufen wirklich meine.«
    Es war das erste Mal seit seinem Einstellungsgespräch, dass er Kleins Heiligtum betreten durfte, einen rundum verglasten Raum, von dem aus man in drei Verkaufsbüros schauen konnte, wo Verträge ausgehandelt wurden. Tom nahm nervös auf dem Sessel Platz, den Klein das Käuferbänkchen nannte. Er war einige Zentimeter niedriger als ein gewöhnlicher Bürosessel. Schwierige Kunden wurden oft an Klein weitergeleitet, der das Gefühl hatte, er ziehe einen Nutzen aus dem psychologischen Vorteil, von oben auf seine Opfer hinabzustarren. »Seltsam, aber es funktioniert. Die Verkäufer reden mich mit ›Sir‹ an und machen sich fast in die Hosen, wenn sie sich unterwürfig verneigend aus dem Raum entfernen. Der Kunde schaut hoch und sieht mich, wie ich ihn stirnrunzelnd betrachte ...« Er runzelte die Stirn. »Wie sehe ich aus?«
    Wie ein unter Verstopfung leidender Pitbullterrier, dachte Tom. »Sehr eindrucksvoll.«
    »Aber sicherlich. Und das ist volle Absicht. Wenn Sie als Verkäufer Erfolg haben wollen, Tom, dann müssen Sie Eindruck machen. Sie verstehen, was ich meine? Irgendwie Eindruck. Vielleicht sogar bei jedem Kunden auf andere Weise. Die Kunden kommen rein und sind nervös, oder sie kommen rein und sind bereit, es mit jedem aufzunehmen, sind entschlossen, ein Supergeschäft zu machen und den Verkäufer über den Tisch zu ziehen. Aber

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