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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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erwachte vom Lärm des Uhrenradios, das auf einen Mittelwellensender in Seattle eingestellt war, der gerade Wettervorhersagen und Verkehrsmeldungen durch den Äther schickte. Sonnenstrahlen drangen matt durch die Vorhänge, aber er fühlte sich, als sei er gerade erst zu Bett gegangen. Nichts aus dieser Nacht war in seiner Erinnerung haften geblieben – außer, ganz vage nur, der Nachhall eines ständigen Summens. Es war ein Geräusch, wie ein im Erdreich vergrabener Dynamo es von sich geben mochte.
    Das Geräusch seiner Gedanken.
    Möglicherweise auch das Geräusch ihrer Gedanken.
    Aber diese Vorstellung verdrängte er schnell wieder. Die Küche war auch diesmal sauber.
    Dieser Trick war nun, da er ihn nicht mehr beeindruckte, ein vertrautes Phänomen. Es waren eher die kleinen Details, die ihn faszinierten. Zum Beispiel war jedes winzige Partikel organischer Materie von der Pizzaverpackung entfernt worden, doch der Karton selbst stand immer noch aufgeklappt mitten auf dem Tisch. Es waren Entscheidungen getroffen worden: Das ist Abfall und das nicht. Es waren keine einfachen mechanischen Entscheidungen. Die Lebensmittel im Kühlschrank wurden niemals angerührt. Ungeöffnete Pakete waren ebenfalls ausgenommen. Dahinter steckte eine Logik. Ziemlich simpel und sich ständig wiederholend, aber gleichzeitig kompliziert und merkwürdig. Eine Hausangestellte hätte den leeren Karton weggeräumt. Ein Roboter tat das nicht. Aber einen Roboter würde es auch nicht stören, wenn er bei der Tätigkeit überrascht würde; ein Roboter würde nicht bis zu den frühen Morgenstunden warten.
    Der Videorekorder lief noch. Es dauerte noch einige Minuten bis acht Uhr. Tom beugte sich vor, griff an der Kameraoptik vorbei und schaltete das Gerät ab.
    Er holte die Kassette heraus und stellte fest, dass seine Hand zitterte. Er brauchte ganze fünfzehn Minuten, um den Videorekorder an seinen Fernseher anzuschließen ... und eine weitere Minute, um das Band zurückzuspulen.
    Er schaltete den Fernseher ein, und als der Schirm sich erhellte, betätigte er die Playtaste des Rekorders. Ein Bild entstand und stabilisierte sich – die Küche, die durch die statische Kameraposition fremd und steril wirkte. Die Zahlen am oberen Bildschirm gaben die Uhrzeit an, 12:01, 12:02 – er war um diese Zeit immer noch wach gewesen, und als er den Ton etwas lauter drehte, konnte er im Hintergrund die Johnny-Carson-Show hören. Irgendwo hinter dem Bild auf dem Schirm saß er in seinem Bademantel und verfolgte die Tonight-Show. Es entstand eine Art Zeitschleife – aber darüber wussten sie sicherlich genau Bescheid.
    Das war ein weiterer phantomhafter Gedanke, unerwünscht und absonderlich. Er schüttelte ihn ab.
    Er drückte auf die Taste für den schnellen Vorlauf.
    Ein Balken wanderte von unten nach oben über den Schirm; das Bild flackerte. Die Minuten huschten so schnell vorbei, dass die Anzeige kaum lesbar war. Aber es war noch immer die gleiche, unaufgeräumte Küche, die er am Abend vorher zurückgelassen hatte.
    1:00 Uhr nachts flackerte vorbei.
    2:00 Uhr.
    3:00 Uhr. Nichts passierte. Dann …
    3:45 Uhr.
    Er drückte auf die Pausetaste, zu spät, und ließ das Band zurücklaufen.
    3:40:01.
    3:39:10.
    3:38:27.
    Um genau 3:37:16 Uhr morgens war das Licht in der Küche erloschen.
    »Verdammt noch mal!« , sagte Tom.
    Die Kamera war so konstruiert, dass sie bei normaler Zimmerbeleuchtung, aber nicht bei absoluter Dunkelheit funktionierte. Der Bildschirm zeigte eine graue, undurchdringliche Leere. Es war so offensichtlich, dass es wehtat. Sie hatten, verdammt noch mal, das Licht ausgeknipst.
    Er drückte auf die Rückspultaste und sah sich die Sequenz in Normalzeit an. Aber es gab nichts zu sehen, nur das statische Bild ... und, ganz schwach, das Geräusch des umgelegten Schalters.
    Klick.
    Dunkelheit.
    Und im Hintergrund ... verborgen im Bandrauschen, flüchtig und kaum hörbar ... etwas, das ihr Geräusch hätte sein können.
    Ein chitinöses Flüstern. Das Scharren metallischer Wimpern auf kaltem Linoleum. Das Geräusch einer Rasierklinge, die über eine Feder gleitet.
    Er versuchte noch nicht einmal, Archer anzurufen. Es war schon spät. Er schloss die Haustür ab und stieg in seinen Wagen.
    Das Haus zu verlassen war genauso, als schüttle er den Einfluss eines langen hypnotischen Traums ab. Er lauerte am Rand seiner Wahrnehmung, und er beeinflusste seine Entscheidungen. Weil er sich verspätet hatte, versuchte er sein Glück mit einer Abkürzung

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