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Chronos

Titel: Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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hatte einen Salamander gesehen, eine Drossel und etwas, was ihrer Meinung nach ein Haubenspecht war. Es bestand auch die aufregende Möglichkeit, einem Schwarzbären zu begegnen, obgleich das bisher noch nicht passiert war. Manchmal nahm sie ihr Mittagessen mit, und manchmal packte sie einen Skizzenblock ein.
    Sie hatte bereits einige Lieblingsplätze im Wald gefunden. Es gab eine Wiese, wo sie sich auf einen umgekippten Baumstamm setzen und über ein Dickicht von Heidelbeeren schauen konnte. Es gab einen sandigen Platz an einem Bach, wo sie beschloss, Grandma Peggys Asche zu verstreuen. Weiter im Süden lag eine andere Wiese, durchzogen von Wildpfaden, wo ein verlassener Holzschuppen unter dichtem Moosbewuchs nachzugeben schien.
    Der Holzschuppen reizte sie. Die schief hängende Tür hatte etwas Einladendes an sich. Gewiss gab es nichts im Innern, sagte Catherine sich, oder nur einen Haufen vermodertes Feuerholz. Aber es könnte auch ein alter Pflug oder ein Spinnrad darin sein, etwas, das sie säubern und vielleicht in einem Antiquitätenladen in Belltower verkaufen könnte. Es sei denn, dieses Grundstück gehörte jemandem. In diesem Fall wäre es Diebstahl, wenn sie etwas mitnähme. Aber sie konnte wenigstens einen Blick hineinwerfen.
    Daran dachte sie am Mittwochmorgen, in ihrer zweiten Woche in Belltower, als sie sich etwas zu essen einpackte und sich auf den Weg machte. Es war ein warmer Tag, und sie schwitzte bereits, als sie am Bach vorbeikam. Sie hielt sich in südlicher Richtung, machte eine kurze Rast, um sich das Haar im Nacken hochzubinden, marschierte an dem Waldbeerenfeld vorbei und weiter zu dem Holzschuppen auf der sonnigen Wiese.
    Sie näherte sich der Tür des alten Bauwerks, stieg über Ausläufer eines Hagebuttenstrauchs hinweg, um einem Büschel Feuerkraut auszuweichen ... Dann hielt sie inne.
    Es schien, als könnte sie in der Hütte eine Bewegung hören.
    Die Neugier hat auch die Katze getötet, sagte Grandma Peggy immer. Aber sie fügte stets als Trost hinzu: Als sie alles wusste, blieb sie doch am Leben. Grandma Peggy hatte fest an solche Sprichwörter geglaubt.
    Daher öffnete Catherine die knarrende Schuppentür und schaute hinein. Ein Stapel Zeitungen moderte hier seit Jahrzehnten vor sich hin. Und etwas Schreckliches bewegte sich und murmelte in der Dunkelheit.

 
    11
    Wie fühlte man sich, wenn man sein Leben noch einmal begann, dreißig Jahre in der Vergangenheit?
    Es machte einen schwindelig, dachte Tom. Es war seltsam, aufregend. Und – nun viel häufiger – beängstigend.
    Ihm war nicht ganz klar, wann oder weshalb die Angst begonnen hatte. Vielleicht war sie schon die ganze Zeit dagewesen, unterschwelliger als jetzt. Vielleicht hatte sie begonnen, als er in das Haus an der Post Road eingezogen war, und war eine ständige Gegenkraft zu all den Ereignissen gewesen, die seitdem stattgefunden hatten. Vielleicht war er sogar damit geboren worden.
    Aber es war eigentlich keine richtige Angst. Es war eine Art systematischer Unruhe ... und er empfand sie am intensivsten an einem heißen Donnerstagnachmittag im Juli, als er hätte schwören können – ohne einen Beweis zu haben –, dass ihm jemand von Lindner's Radio Supply zu Larry Millsteins Wohnung folgte.
    Der Tag war gut gelaufen. Seit er seinen Job angetreten hatte, hatte Tom genügend zuverlässige Arbeit abgeliefert, dass Max ihn die meiste Zeit allein und in Ruhe ließ. In dem höhlenartigen Hinterzimmer bei Lindner's fühlte er sich zunehmend heimisch. An heißen Tagen wie diesem kippte er die hohen, bleigefassten Fenster, um den Wind aus der Gasse hereinzulassen. Er arbeitete gerade an einem Fisher-Verstärker, den ein Kunde gebracht hatte. Die Röhre der Ausgangsstufe war durchgebrannt, die Spannungsversorgung der Endstufe streute. Die Kondensatoren waren mit Öl gefüllt, dessen Verwendung später – einige Jahre in der Zukunft – wegen seines PCB-Gehalts laut EPA-Verfügung verboten wurde. Die Gefahr, zumindest in diesem Fertigungsstadium, war auf keinen Fall als tödlich einzustufen. Beim Mittagessen fragte Max ihn, weshalb er den Ventilator so dicht an seinem Arbeitstisch aufgestellt hatte. »Ich mag den Geruch nicht«, erklärte Tom ihm.
    Ungeachtet der Giftstoffe hatte Tom eine gewisse Hochachtung vor diesen alten amerikanischen Radios und Verstärkern entwickelt. Die anspruchsvollen Geräte waren simpel konstruiert, sorgfältig gefertigt und robust – bereits das Gewicht war manchmal erstaunlich. Transformatoren

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