Chronos
Einzelgänger.«
»Hat er das Haus verkauft?«
»Nein. Und das ist das Interessante. Er verschwand 1980, und das fiel auf, weil er keine Grundsteuer mehr zahlte. Niemand konnte ihn ausfindig machen. Er hatte keine Bankverbindung, keine Sozialversicherungsnummer, seine Geburt war nirgendwo gemeldet. Noch nicht einmal sein Automobil war angemeldet. Falls er gestorben ist, gab es noch nicht einmal eine Leiche.« Archer trank seinen Kaffee. »Ich finde, der Kaffee hier ist wirklich gut. Wussten Sie, dass sie ihn selbst mahlen? Es ist eine ganz spezielle Mischung. Kolumbien, Costa Rica ...«
Tom sagte: »Die Geschichte scheint Ihnen zu gefallen.«
»Na klar. Ihnen etwa nicht?«
Tom stellte fest, dass er sich tatsächlich dafür erwärmte. Sein Interesse war geweckt. Er musterte Archer über den Tisch hinweg – dann runzelte er die Stirn und kniff die Augen zusammen. »Oh nein, jetzt weiß ich, wer Sie sind! Sie waren der Junge, der unten an der Küstenstraße die Autos immer mit Steinen bewarf!«
»Sie waren eine Klasse unter mir. Tony Winters kleiner Bruder.«
»Sie haben damals bei einem Buick die Windschutzscheibe zertrümmert. Es gab sogar einen Artikel in der Zeitung. Jugendkriminalität auf dem Vormarsch und so weiter.«
Archer grinste. »Es war ein rein ballistisches Experiment.«
»Und jetzt verkaufen Sie Spukhäuser an ahnungslose Stadtsäcke.«
»Ich glaube, von einem ›Spukhaus‹ zu reden, wäre etwas melodramatisch. Aber ich habe eine andere seltsame Geschichte über das Haus gehört. George Bukowski hat sie mir erzählt – George ist Cop bei der Highway Patrol und besitzt unten am Bootshafen einen großen Wohnwagen. Er sagte, er sei im vergangenen Jahr über die Post Road gefahren und habe im Haus Licht gesehen. Dabei war es seines Wissens unbewohnt, da er schon mal dort gewesen war, als er nach Ben Collier suchte. Er hielt an, um nachzusehen. Es stellte sich heraus, dass ein paar Teenager im Kellergeschoss eine Scheibe eingeschlagen hatten. Sie hatten eine Sturmlaterne in der Küche aufgestellt, dazu einen Kasten Kokanee und einen Ghettoblaster; sie wollten wohl eine Party feiern. Er nahm sie mit und fand beim ältesten Jungen, Barry Lindell, eine Achtelunze Dope. Er schickte sie alle nach Hause zu ihren Eltern. Am nächsten Tag fuhr George noch einmal hin, um sich das Ausmaß der Schäden anzusehen – und es stellte sich heraus, es war überhaupt nichts kaputt. Es sah aus, als seien die Kids nie dort gewesen. Keine Streichhölzer auf dem Fußboden, keine leeren Dosen, alles picobello sauber und aufgeräumt.«
Tom schüttelte ungläubig den Kopf. »Und das Fenster, durch das sie reingekommen waren?«
»Es war nicht mehr zerbrochen.«
»Quatsch«, sagte Tom.
Archer hob die Hände in einer hilflosen Geste. »Sicher. Aber George beschwört es. Er sagt, das Fenster sei nicht einmal mit frischem Kitt repariert worden, denn das hätte er sofort bemerkt. Es war nicht angerührt – es war einfach nicht zerbrochen.«
Die Serviererin brachte das Sandwich. Tom schnitt ein Stück davon ab und schob es sich nachdenklich in den Mund. »Das scheint aber ein geradezu krankhaft ordentliches Gespenst zu sein, mit dem wir es hier zu tun haben.«
»Das universelle Heinzelmännchen.«
»Ich kann nicht behaupten, dass mir das Angst macht.«
»Ich glaube auch nicht, dass Sie dazu einen Grund haben. Dennoch ...«
»Ich halte die Augen offen.«
»Und halten Sie mich auf dem Laufenden«, sagte Archer. »Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Er schob seine Visitenkarte über den Tisch. »Meine Privatnummer steht auf der Rückseite.«
»Sind Sie so neugierig?«
Archer schaute in die Runde, um sich zu vergewissern, dass niemand sie belauschte. »Ich hab verdammte Langeweile.«
»Sehnen Sie sich nach der guten alten Zeit? Nach einem sonnigen Nachmittag, einem Stein in der Hand und dem Abgasgestank eines heißen Kabrio?«
Archer grinste. Und das Grinsen verkündete, zum Teufel, ja, ich bin noch immer ein großes Kind, und ich gebe es offen zu.
Dieser Mann genießt das Leben, dachte Tom.
Es tröstete einen, glauben zu können, dass das noch möglich war.
Ehe er zu dem Haus hinausfuhr, machte Tom in der Harbor Mall halt, um Lebensmittel und andere Vorräte zu kaufen. Im A & P-Markt holte er einen Wochenvorrat an Nägeln und Heftklammern und eine ganze Kollektion dessen, was Barbara Junggesellenverpflegung nannte: tiefgefrorene Vorspeisen, Kartoffelchips, Coladosen in Plastik-Packs. Im Radio Shack
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