Chucks Welt
und mache ihr ein Kompliment. Besonders anspruchsvoll kann das nicht sein, schließlich ist absolut alles an ihr schön. Trotzdem quält mich tief in meinem Hirn immer noch die Frage, ob Beth mich reinlegen will. Ich traue ihr nicht.
Ich betrete das Klassenzimmer, nicke Kanha zu und stelle fest, dass Amy schon da ist; sie sitzt still an ihrem Platz und schreibt eine SMS. Wem denn, zur Hölle? Ich setze mich. Ihr Blick klebt an ihrem Handy.
Mr Cimaglia beginnt mit dem Unterricht und ich betrachte Amys Outfit. (Ich habe keine Angst, dass sie sich umdreht und mich erwischt; seit ich sie kenne, hat sie sich nicht ein einziges Mal umgedreht.) Sie hat die gleichen Schuhe an wie am ersten Tag. (»Ballerinas« – ich habe das recherchiert.) Dazu trägt sie zerrissene Jeans und so eine Art Army-Jacke. Trotzdem wirkt sie nicht wie ein Junge, sondern einfach … hip . Ich würde in so einer Jacke aussehen wie der hinterletzte Idiot. Aber das war es auch schon – ich kann nicht erkennen, was sie unter der Jacke anhat, und sie trägt auch keinen Haarschmuck oder so. Ich habe also nicht gerade viel Material. Unter dem Tisch scharre ich mit meinen Chucks herum.
»Warum machen wir nicht ein kleines Spiel«, sagt Mr Cimaglia gerade. Er gibt den Wörtern des Satzes keine besondere Betonung und lässt ihn auch nicht wie eine Frage klingen (ganz das Gegenteil von Dr. S.). Leider besteht Mr Cimaglias Vorstellung von einem »kleinen Spiel« darin, ein Hausaufgabenquiz zu veranstalten, bei dem einer aus der Klasse seine Ergebnisse vorlesen muss, bis er einen Fehler macht; dann ist ein anderer dran und muss erklären, wo der Erste Mist gebaut hat. Nicht gerade eine sokratische Methode.
»Chuck«, fordert Mr Cimaglia mich auf, »wollen Sie den Anfang machen?«
Ich schlucke.
»Was war das Ergebnis für Aufgabe eins?«, will er wissen.
Ich schaue in mein Heft. Zum Glück habe ich die Hausaufgaben gemacht und die Ergebnisse per SMS mit denen von Kanha verglichen. Also bin ich zuversichtlich.
»B.«
»Richtig. Und Aufgabe zwei?«
»C.«
»Richtig. Und Aufgabe drei?«
»A.«
»Richtig.«
Ich habe einen Lauf.
»Und Aufgabe vier?«
»Wieder A.«
»Richtig. Und Aufgabe fünf?« Der Mann ist wirklich der reinste Roboter.
»Äh, auch wieder A.«
»Falsch.«
Verdammt! Jeder weiß, dass nie dreimal A in Folge kommt.
Mr Cimaglia lässt seine Blicke über die Klasse schweifen. Er sieht Amy an. »Ms. Huntington, wollen Sie uns Ihr Ergebnis für Aufgabe fünf mitteilen?«
Ob das Schicksal ist? Eher nur ein Moment glücklichen Zufalls in dem schmerzlich unbedeutenden Teenagerleben eines gewissen Chuck Taylor.
Amy schaut auf ihr Blatt. »Ich habe D.«
»Richtig. Sehr gut. Kommen Sie bitte an die Tafel und führen Ihren Lösungsweg vor, damit Chuck sehen kann, wo sein Fehler liegt?«
Herrje, du musst doch nicht gleich so ein Arsch sein.
Amy geht nach vorne. Während sie ihre Lösung vom Heft an die Tafel abschreibt, schweifen meine Gedanken ab. Wie wahnsinnig wäre es wohl, Amy zur Freundin zu haben? Ich stelle mir vor, wie wir Händchen halten, zusammen Picknick machen oder Steine auf einem See springen lassen – anscheinend sind meine Tagträume stark beeinflusst von den fünfziger Jahren. Außerdem habe ich in meinen Gedanken wohl keine Zwangsstörungen, denn in Wirklichkeit würde ich nie im Leben so einen schmutzigen Stein anfassen.
Amy beendet die Gleichung, doch Mr Cimaglia schüttelt denKopf. »Ich fürchte, Amy«, leiert er, »Sie sind nur durch Zufall bei der richtigen Lösung angelangt.«
Amy wirkt eher unsicher als beschämt, aber mir ist auf einmal sonnenklar, wo mein Fehler lag und was sie falsch gemacht hat. Anscheinend sieht mir Mr Cimaglia an, dass ich es begriffen habe, denn er ruft mich auf und bittet mich, die Lösung auszuführen.
»Ich habe die falsche Variable eingesetzt«, erkläre ich. »Und Amy hat sich bei der Bruchrechnung vertan, was zufällig trotzdem die richtige Lösung ergeben hat.«
»Genau richtig«, sagt Mr Cimaglia. »Gut erkannt.«
Amy schiebt ihren Haarvorhang zurück und sieht mich an.
Auf einmal sage ich: »Du bist schön.«
Ja, das sage ich wirklich. Und zwar laut.
Alle in der Klasse kichern. Mr Cimaglia starrt mich an, vollkommen perplex. Amy dreht sich wieder nach vorne, als wäre nichts passiert.
Was zur Hölle habe ich da gerade getan? Beth hat gesagt, ich soll mir was aussuchen. Nicht alles nehmen. Und schon gar nicht vor allen !
Der
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