Chucks Welt
alle Anzeichen deuten auf eine Zwangsstörung, so wie du und deine Eltern ja bereits vermuten? Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass dein Fall dem Anschein nach ein Paradebeispiel ist.«
Soll ich darauf stolz sein oder was?
»Hm, und was kann man da tun?«, nuschele ich.
»Zwangsstörungen sind verbunden mit abnormalen Mechanismen im Gehirn, mit Abläufen, die sich in Endlosschleife wiederholen. Zum Glück gibt es Wege, diese Prozesse zu durchbrechen und dein Gehirn sozusagen neu zu trainieren? Hast du schon mal etwas von kognitiver Verhaltenstherapie gehört, Chuck?«
Obwohl es erst unsere zweite Sitzung ist, bekomme ich inzwischen ganz gut mit, wann Dr. S. tatsächlich eine Frage stellt.
»Nein«, antworte ich. »Was ist das?«
»Vereinfacht ausgedrückt ist es der Ansatz der KVT, dich mit einigen Triggern deiner Zwangsgedanken zu konfrontieren, um dich zu desensibilisieren?«
»So in der Art, dass ich, wenn ich mein Schloss vierzehnmal rumdrehen muss, bevor ich weggehen kann … das einfach nicht mache?«
»Nach und nach, ja. Mit der Zeit merkst du dann, dass es keine Auswirkungen hat, wenn du das Muster nicht erfüllst, und das schwächt die Zwangsstruktur in deinem Gehirn.«
»Das klingt … schwierig.«
»Viele Patienten finde es tatsächlich sehr schwierig, daher geht es eher langsam vonstatten?«
In meinem Kopf pocht es. Ich beginne zu bereuen, dass ich mich auf eine zweite Sitzung eingelassen habe. Mein Abschlussjahr ist sowieso schon ruiniert. Das Mädchen, auf das ich gewartet habe, weiß nicht mal, wer ich bin. Diese KVT ist wirklich das Letzte, wasich brauche. Ehrlich gesagt würde ich Dr. S. am liebsten eins in die Fresse hauen.
»Chuck? Hörst du mir zu?«
Ich habe nicht gemerkt, dass Dr. S. immer noch redet. Ich reiße mich zusammen und schiebe den Wunsch, ihr ins Gesicht zu schlagen, von mir weg. Aber vorher beuge ich mich lässig nach vorne und klopfe mir kurz aufs Knie. Ich hoffe, sie kapiert nicht, dass ich gerade auf Holz geklopft habe.
S teve und Kanha essen schon, als ich mittags in der Cafeteria zu ihnen stoße. Wir sitzen am gleichen Tisch wie immer und die beiden haben mir meinen üblichen Platz freigelassen, damit ich nicht ausflippe.
Kanha ist ein dürrer Inder, und genau wie meine nicht besonders dürre indische Psychiaterin ist er manchmal schwer zu verstehen. Nicht wegen dem Akzent – er hat keinen –, sondern weil er aus mir unklaren Gründen immer wie ein Rapper daherredet.
»Yo Dogg«, sagt er. »Hushlicker sagt, du fährst echt fett auf die Neue ab.«
Ich gebe mich gelassen. »Meinst du Amy?«
»Volltreffer, Amy. Die sitzt hinter dir, Alter.«
Ich erstarre. Meint er das ernst? Heute Morgen in der Mathestunde habe ich Amy die ganze Zeit angestarrt – sie hatte so ein total süßes Schleifchen im Haar, das ihren langen Pony allerdings kein bisschen bändigt –, aber in der Cafeteria ist sie noch nie gleichzeitig mit mir gewesen.
Kanha lacht laut los. Steve lacht mit, was mich ärgert – kommt mir vor wie zwei gegen einen. Superlangsam drehe ich mich um. Heilige Scheiße. Das ist kein Witz. Amy sitzt ein paar Tische hintermir, mit Stacey und Wendy. Ich schaue einen Tick zu lange hin und für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke. Mist! Hektisch drehe ich mich zurück zu Steve und Kanha und verschütte fast mein Getränk.
»Sie hat mich angeguckt«, verkünde ich atemlos.
»Kein Wunder, wenn du sie fixierst wie ein Geisteskranker!«, sagt Steve.
»Derbe gechillt, Digga«, kommentiert Kanha.
»Was zur Hölle soll das denn heißen?«, frage ich und ärgere mich noch mehr.
Kanha steckt in der Klemme. »Äh, weiß nicht so genau.«
»Hat sich Amy denn mit Stacey und Wendy angefreundet?«, frage ich. »Ehrlich, wenn sie mit denen zusammensteckt, hab ich absolut keine Chance. Verdammt!« Niedergeschlagen lasse ich den Kopf hängen.
»Chuck«, sagt Steve und wartet, bis ich ihn anschaue. »Mach dich locker. Garantiert soll Stacey Amy nur überall rumführen, weißt du? Weil sie doch im Schülerrat ist und so. Und Wendy – tja, Wendy trabt ihr immer hinterher, weißt du doch. Die wollen bloß nett sein zu der Neuen, sowas in der Art.«
»Na ja.« Ich nicke. »Kann gut sein.«
Ein Hammer, dieser Steve. Man kann über ihn sagen, was man will, aber er ist ein echt guter Freund. Er weiß immer genau, was er sagen muss, damit ich mich wieder einkriege.
»Ich habe einen Vorschlag«, fährt er fort. »Wir
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