Chucks Welt
deine Zwangsstörungen zu behandeln. Ich bin in jeder Hinsicht für dein Wohlbefinden da. Vermutlich betrifft es Amy?«
»Stimmt«, gebe ich zu.
»Gesunde Beziehungen zu pflegen ist ein wichtiger Aspekt psychischer Gesundheit. Ich werde mein Bestes tun, um dir zu helfen. Lass mich dein Date-Doktor sein.«
Hat sich meine Psychiaterin gerade ernsthaft als Date-Doktor bezeichnet?
»Mein Date-Doktor?«
»Ja. Sagt man nicht so?«
»Na ja …« Ich unterdrücke ein Lachen und bin kurz neben der Spur. »Okay, ich hab Ihnen ja schon mal von Amy erzählt. Zwischen uns läuft’s im Moment nicht sonderlich gut. Ich überlege, ihr alles zu sagen. Vielleicht in einer Mail. Ihr von der Therapie zu erzählen, von den Pillen, die ganze Geschichte.«
»Aha«, sagt Dr. S.
»Und dann«, fahre ich fort, »will ich sie bitten, mit mir zum Abschlussball zu gehen.«
Überrascht runzelt Dr. S. die Stirn.
»Wirklich?«
»Ja.«
»Der Ball ist doch erst im Juni?«
»Stimmt, trotzdem fangen die Jungs jetzt an zu fragen.«
»Das ist ein gewagter Schritt, Chuck. Vor Beginn der Therapie hättest du so etwas bestimmt nicht erwogen, oder?«
Da hat sie vollkommen recht. Vor ein paar Monaten hätte ich nie im Leben ein Mädchen gefragt, ob sie mit mir auf den Ball geht. Dr. S. und auch Amy haben das völlig verändert. Ich habe keine Vorstellung, wie Amy reagieren wird, ich weiß nicht mal, ob sie mir überhaupt lange genug zuhört, damit ich sie fragen kann, aber es istnun mal die einzige Möglichkeit, die mir einfällt, um meine Gefühle für sie unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen.
»Nun ja«, sagt Dr. S., »falls es nicht klappt, weißt du zumindest, du hast es versucht, richtig?«
Dr. S. scheint nicht besonders optimistisch. Ehrlich gesagt klingt sie für meinen Geschmack zu sehr nach Wayne Gretzky. Lächelnd legt sie ihren Stift weg.
»Unsere Zeit ist abgelaufen.«
Bald wird auch in Sachen Amy die Zeit abgelaufen sein.
A ls ich in mein Zimmer komme, habe ich ein Déjà-vu. Beth sitzt an meinem Laptop, obwohl sie genau weiß, dass ich es ihr verboten habe.
Vor ein paar Jahren hat sich exakt die gleiche Szene schon mal abgespielt, mit der bekannten Folge: dem bizarren Farbsystem bei der täglichen Wahl meiner Chucks. Wütend = rote Chucks. Das kommt mir wahnsinnig lange her vor.
»Beth, was tust du hier, verdammt noch mal?«
Sie dreht sich um – ertappt.
»Mein Computer ist tot.«
»Steck ihn an den Strom, du Depp.«
»Das Ladegerät hat irgendwas.«
»Interessiert mich nicht. Raus hier!«
»Lass mich nur eins noch schnell machen. Bitte?«
Ich wittere eine Chance.
»Okay«, sage ich.
»Echt?«
»Ja, fünf Minuten.«
»Gut, danke.«
Sie wendet sich wieder dem Computer zu. Ich setze mich aufsBett und ziehe meine grauen Chucks aus. Kaum zu fassen, dass ich das jetzt schon jahrelang so mache. Das Farbsystem gehört – zusammen mit der Wichsliste – zu den Macken, die ich Dr. S. verheimlicht habe und die ich mir bisher noch nie abzugewöhnen versucht habe. Manche Sachen sind einfach zu schräg.
Ein kurzer Blick in Beths Richtung zeigt mir, dass sie auf Facebook ist. Das, was sie da tut, kann so wichtig nicht sein. Dass es mich allen Ernstes Überwindung kostet, mit meiner kleinen Schwester zu sprechen, ärgert mich kolossal.
»Beth«, sage ich, »kann ich was mit dir bereden, während du das machst?« Und bevor sie Gelegenheit hat, schnippisch zu werden, füge ich hinzu: »Wo du gerade an meinem Computer sitzt?«
»Na gut, worum geht’s?«
Ich wende wieder meine klassische Taktik an: sprechen ohne nachzudenken. »Steve findet dich gut.«
Beth hört nicht mal auf zu tippen.
»Was?«
»Steve. Er mag dich total gern.«
Jetzt dreht sie ihr Gesicht zu mir.
»Steve Hushlicker mag mich gern? Ist er verknallt oder was soll das heißen?«
»Ja.«
Sie sagt erst mal gar nichts. Aber ich bilde mir ein, für eine Nanosekunde so was wie den Hauch eines Lächelns zu sehen. Ehrlich, das freut doch jeden, wenn er hört, dass jemand anders ihn gut findet?
»Bä, wie eklig«, sagt sie und dreht sich wieder weg.
»Ist das alles? Mehr fällt dir dazu nicht ein?«
»Was soll ich denn da sagen, Chuck? Gut, dein verrückter Freund fährt also auf mich ab. Ein Riesending.«
»Na ja, was hältst du denn so von ihm?«
»›Bä, wie eklig‹ sagt doch genug, oder?«
»Warum denkst du nicht mal drüber nach? Nur einen Tag lang?« Auf die Art hätte ich Steve nicht wirklich
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