Chuzpe: Roman (German Edition)
auf dem nächsten Schiff«, sagte Edek.
»Das werden wir, Dad«, sagte sie.
»Gott sei Dank«, antwortete Edek.
Der Kapitän winkte sie auf die Fähre. Er machte Ruth ein Zeichen, daß sie sich auf der linken Spur auf der Fähre einordnen solle. Ruth nickte, drehte das Lenkrad und fuhr nach links. » Oj cholera «, rief Edek. Ruth bremste mit aller Macht. Oj cholera war jiddisch und hieß wörtlich: »Oh, Cholera«, was bedeutete: viel Ärger.
»Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht«, sagte Edek voller Panik. »Du fährst zu nah an die Seite von dem Schiff.«
»Dad«, sagte Ruth, »du machst mich nervös! Laß mich bitte auf die Fähre fahren.«
»Ich mache dich nicht nervös«, sagte Edek. »Du warst schon nervös, als wir haben gewartet fast eine Stunde, um zu kommen auf das Schiff. Du hast schon zweimal gesagt, daß du würdest hoffen zu kommen auf die mittlere Spur von dem Schiff. Auf der mittleren Spur muß man nur fahren geradeaus.«
Ruth manövrierte den Wagen im Schneckentempo auf die linke Spur. Sie war alles andere als entspannt. Seit sie in Amerika lebte, war sie kaum mehr Auto gefahren. Die Straßenseiten vertauschen zu müssen hatte das Gefühl in ihr ausgelöst, daß auch alles in ihrem Kopf vertauscht würde. In New York brauchte man keinen Wagen. Und das hieß, daß sie diesem Problem einfach aus dem Weg gehen konnte. Wenn sie auf den fast leeren Straßen von Shelter Island fuhr, tat sie das mit der Konzentration eines Herzchirurgen, der im Begriff steht, ein verpflanztes Herz in Gang zu setzen.
»Was ist bloß mit dir passiert, Ruthie, du warst immer so eine gute Autofahrerin«, sagte Edek. »Du mußt mehr fahren in New York, und dann du wirst nicht mehr sein so eine nervöse Fahrerin, was fast gefahren wäre in die Seite von dem Schiff.«
»Es ist kein Schiff«, sagte Ruth verärgert. »Es ist eine Fähre.«
»Es ist ein Boot, was schwimmt auf dem Wasser und uns fährt zu dem anderen Ufer«, sagte Edek. »Auf englisch das ist ein Schiff.«
Ruth antwortete nicht. Sie waren in Greenport gelandet.
Als Ruth und Edek in den Bus stiegen, sah Ruth, daß die Sitze in der Reihe mit dem Notausgang noch frei waren. Ruth drängelte sich vor. Die zwei Sitze waren nicht besetzt. Sie frohlockte innerlich. Die Sitze in der Reihe mit den Notausgängen hatten doppelt soviel Beinfreiheit wie die in den anderen Reihen.
Edek schlug sein Buch auf und begann zu lesen. Es war ein Thriller mit dem Titel Dicker als Blut. Der Verfasser hieß Don Owen. Ruth sah zu Edek hinüber. Er blickte auf. »Dieser Autor ist nicht so gut wie Luudlom«, sagte er. »Er ist ein bißchen so wie Luudlom, aber nicht so gut.« Luudlom war Robert Ludlum. Ruth nahm an, daß Don Owen alles andere als ein Einzelfall war. »In diesem Buch gibt es zwei Männer, was beide haben verloren ihr Gedächtnis«, sagte Edek. »Der eine Mann denkt, der andere Mann wäre ein Spion. Der andere Mann denkt, der eine Mann wäre sein Bruder. Und es gibt schon große Probleme. Es sind schon zwei Leute tot. Beide Tote wurden erdrosselt.« Ruth warf einen Blick auf das Buch. Edek war erst auf Seite vierzig. Sie dachte sich, daß sie auf keinen Fall noch mehr Einzelheiten aus Dicker als Blut hören wollte. Sie nahm die New York Times aus ihrer Tasche.
Einige Zeit später sah Ruth zu Edek hinüber. Er sah friedlich aus, versunken in Dicker als Blut. Sie war froh, daß seine Kriminalromane ihm erlaubten, sich in ein fremdes Grauen zu flüchten. Ihm die Möglichkeit gaben, den Schrecken und die Brutalität und die Unerklärbarkeit dessen, was ihm widerfahren war, in einer fremden Geschichte, einem fremden Alptraum zu erleben.
»Wenn ich lese diese Bücher«, hatte er oft zu ihr gesagt,»erlebe ich jeden Augenblick, als wäre ich in dem Buch drin.«
Edek blickte auf. »Ich glaube, der Mann, was denkt, der andere Mann wäre sein Bruder, wird umgebracht«, sagte er. »Ich glaube, der andere Mann denkt, er wäre ein Spion, was den Mann umbringen muß, was denkt, er wäre sein Bruder. Er denkt das, weil es jetzt gibt einen dritten Mann, was kommt aus China und ihm hat erzählt, daß der Mann, was denkt, er wäre der Bruder von diesem Mann, in Wirklichkeit ist ein Berufskiller, was wurde bezahlt von der Frau des Spions, damit er umbringt den Mann, was denkt, er wäre ein Spion.«
Für einen Augenblick war Ruth verwirrt. »Hat der Mann, der denkt, er wäre ein Spion, eine Ehefrau?« fragte sie Edek.
»Er denkt, er hätte eine, weil der Mann aus China ihm gesagt hat, daß
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