Chuzpe: Roman (German Edition)
seine Frau sich versteckt hätte, weil ihr Leben wäre in Gefahr.«
Sie hatten die Stadt fast erreicht. »Gibt es irgendwas, was dir an Shelter Island gefallen hat?« fragte Ruth.
»Nein«, sagte Edek. »Vielleicht wäre es besser, wenn es eine Brücke gäbe«, sagte Edek. »Nicht für mich, ich bin fertig mit diesem Shelter Island, aber vielleicht für andere Leute. Ein Schiff ist so eine idiotische Idee. Man muß warten und warten. Mit einer Brücke man könnte hinfahren, und man könnte wieder wegfahren.«
Ruth brachte Edek mit einem Taxi zu seiner Wohnung. Er wirkte erschöpft. Das Wochenende auf dem Land hatte ihn sichtlich ermüdet.
Zelda rief Ruth an. »Hi, Roo«, sagte sie. »Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist.«
»Habt ihr eine Konferenzschaltung gehabt und seid zu der Ansicht gelangt, irgendwas wäre nicht in Ordnung?« fragteRuth. »Zachary und Kate haben auch schon angerufen. Beide wollten wissen, ob alles in Ordnung sei.«
Zelda lachte. »Wir hatten keine Konferenzschaltung, Roo«, sagte sie. »Wir waren gestern abend zusammen essen, und wir machen uns alle ein bißchen Sorgen um dich. Wir wissen alle, daß du seit Jahren keine Nacht ohne Garth allein warst, und wir wußten nicht, ob es dir gutgeht oder nicht.«
Ruth kam sich plötzlich vor wie ein Kind. »Mir geht es gut«, sagte sie zu Zelda. »Na ja, halbwegs gut.«
»Wenn du willst, daß ich vorbeikomme und bei dir übernachte, komme ich jederzeit«, sagte Zelda.
»Danke«, sagte Ruth. »Ich glaube, es ist alles in Ordnung.«
Ruth kaufte sich auf dem Nachhauseweg nach der Arbeit bei Gourmet Garage ein Stück gebratene Hühnerbrust mit Zitronenschale und Rosmarin. Sie aß ihr Abendessen an einem Tischchen vor den Fenstern des Wohnbereichs in ihrem Loft. In den sechs Wochen seit Garths Abreise hatte sie es nicht fertiggebracht, ihr Abendessen an dem großen Eßtisch zu essen.
Ruth wachte auf und dachte an Garths Lachen. Garths Lachen ereignete sich fast wie eine Eruption. Es schien aus dem Innersten seines Wesens zu kommen. Er lachte so heftig, daß sein Körper sich zusammenkrümmte. Ruth wünschte manchmal, sie könnte mitlachen. Sich in dieses Lachen einschalten. Manchmal saß sie an ihn geschmiegt, wenn er so lachte, als wüßte sie, daß diese Nähe die größte Annäherung an das war, was ihr jemals als unbeschwertes, ungezwungenes, herzhaftes Gefühl der Freude möglich sein würde.
Ruth und Edek gingen die Lower East Side entlang. Es war ein Sonntagmorgen. Ruth freute sich, mit Edek spazierenzugehen. Sie hatte ihn seit Tagen nicht zu sehen bekommen. Sie hatte ihn in den letzten zwei Wochen überhaupt nurselten zu sehen bekommen. An diesem Vormittag waren sie schon lange spazierengegangen. Sie hatten einen richtig schönen Morgenspaziergang in der Lower East Side gemacht. Sie waren die Grand Street entlanggewandert, die Hester Street, Essex Street, Ludlow, Rivington, Orchard und Allen Street. Edek hatte ihr jedes Restaurant gezeigt, an dem sie vorbeikamen, darunter eine koschere Pizzeria und eine Hamburger-und-Pommes-frites-Imbißbude. »Sogar das chineserische Essen ist gut«, hatte er gesagt.
»In wie vielen Lokalen hast du schon gegessen?« fragte Ruth.
»Wie soll ich das wissen?« sagte Edek. »Ich bin nicht so eine Type, was zählt die Restaurants, wo ich esse. Aber alles ist billig. Der chineserische Billigladen ist so was von billig.«
Ruth war beunruhigt. Wieviel Zeit verbrachte er in der Lower East Side? Und was tat er dort?
»Kennst du jemanden, der in dieser Gegend wohnt?« fragte sie ihn.
»Nein«, sagte er. »Aber hier ist alles billig. Du kannst Toilettenpapier kaufen für weniger als ein Viertel von dem, was jemand muß bezahlen für Toilettenpapier«, sagte er.
»Das ist wahrscheinlich sehr dünnes Toilettenpapier«, sagte Ruth.
»Es ist genau das Toilettenpapier, was ich benutze zu Hause«, sagte Edek.
Ruth mochte die Lower East Side. Sie war voller Leben und Abwechslungsreichtum. In SoHo, wo sie wohnte, machte die Gentrifizierung dem Abwechslungsreichtum allmählich den Garaus. An der Rivington Street kamen Ruth und Edek an einem großen Gebäudeschild vorbei. Das Schild zeigte Traubenbüschel und eine Flasche Wein. Es war Reklame für Schapiros koscheren Wein. Unter dem Schild befand sich Festival Mexicano, ein mexikanisches Restaurant. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war Lius Wäscherei,eine chinesische Wäscherei, und ein bißchen weiter die Straße entlang gab es Botanica San
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