Chuzpe: Roman (German Edition)
genauso einleuchtend wie das Wort »Komplement«. Der Computer konnte nicht wissen, ob man das Wort »Werte« hatte schreiben wollen oder das Wort »Wetter«. Der Computer konnte nicht denken. Für ihn machte es keinen Unterschied, ob von einem Münster die Rede war oder von einem Monster.
Edek kam in Ruths Büro. Er brachte ein großes Paket mit. »Ich habe dir etwas gekauft, was du meiner Meinung nach dringend benötigst«, sagte er.
»Was ist das, Dad?« fragte sie.
Edek packte das Paket aus. Er machte einen sehr zufriedenen Eindruck. »Das hier wird machen alles im Büro hundert Prozent einfacher«, sagte er. »Das hier« war eine elektronische Etikettiermaschine. Zu dem Zubehör der Maschine zählten laut Aufdruck mehr als siebenhundert unterschiedliche Sonderfeatures, die es einem ermöglichten, die Etiketten individuell zu gestalten. Edek hatte außerdem eine Packung Ersatzetiketten gekauft, filmbeschichtete, laminierte, selbstklebende Einzel- und Endlosetiketten. Edek strahlte. »Siehst du?« sagte er. »Du klebst so dünne kleine Papieretiketten auf deine ganzen Aktenordner. Und du hast so viele Ordner. Mit dieser Maschine wirst du in der Lage sein, viel bessere Etiketten zu benutzen. Solche Etiketten, was man kann lesen vom anderen Ende des Büros und was nie mehr abgehen von dem Ordner.«
Ruth rang nach Fassung. Sie konnte Edek nicht erklären, daß sie niemals imstande sein würde, diese Maschine zu bedienen, und daß sie eine Aushilfe einstellen müßte, umvon ihr Etiketten drucken zu lassen. »Das ist eine wunderbare Idee«, sagte sie. »Wir fangen mit den dicksten Ordnern an.« Edek wirkte sehr glücklich.
»Ich sehe mir die Gebrauchsanleitung an, und vielleicht ich kann drucken ein paar Etiketten für dich«, sagte er.
»Dad, ich liebe dich«, sagte sie.
»Ich liebe dich auch, Ruthie«, sagte er. »Ich dachte mir, daß diese Maschine wäre genau das richtige für dich.« Edek setzte sich. »Was machst du gerade?« fragte er.
»Ich arbeite an ein paar Glückwunschkarten«, sagte Ruth.
»Meinst du, da hast du den gleichen guten Riecher, was du hast bei den Briefen?« fragte Edek.
»Ich weiß es noch nicht«, sagte sie. Auf ihrem Schreibtisch lag ein Kartenentwurf mit der Beschriftung:
KEINE HEKTIK
Überstürzen Sie nichts
Rät Ihnen jemand, der Sie mag
Ruth hatte sich diese Karte für Leute ausgedacht, die vor der Entscheidung standen, ihren Beruf zu wechseln, ihr Geschlecht, einen Partner zu verlassen, zu heiraten, die Scheidung einzureichen, den Umgang mit einem Freund oder Verwandten einzustellen, sich bei ihrem Chef, bei einem Kollegen, einem Nachbarn, einem Sohn oder einer Tochter, einem Freund oder Partner zu beschweren oder zu beklagen.
Edek sah die Karte an. »Das ist ein sehr kluger Rat«, sagte er. »Du willst, daß Leute es sich gut überlegen, bevor sie tun etwas, was sie hinterher vielleicht bereuen.«
Auf ihrem Schreibtisch lag ein zweiter Kartenentwurf, mit dem sie ebenfalls beschäftigt war:
SIE HABEN RECHT
Sie haben die richtige Entscheidung getroffen
Diese Karte war für Leute gedacht, die sich nicht sicher waren. Die meisten, Ruth eingeschlossen, waren sich über kleine und große Entscheidungen in ihrem Leben nie recht sicher. Sie waren sich nicht sicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatten. Ob sie richtig daran taten, einen Hochschulabschluß anzustreben, ihre Stelle zu kündigen, in einen anderen Bundessstaat zu ziehen, ihrem Chef, ihrer Ehefrau, ihrem Ehemann, ihrem Partner oder ihren Eltern die Meinung zu sagen. Für einen Freund war die richtige Antwort oft leicht zu erkennen.
Edek nahm die Karte in die Hand. »Ich kann sehen, was du willst sagen«, sagte er. »Du willst helfen den Leuten, den Mut zu haben, zu tun das, was sie wirklich tun wollen.«
»Ganz genau«, sagte Ruth.
»Es ist eine gute Sache zu helfen den Leuten, zu tun das, was sie wirklich tun wollen«, sagte Edek.
Ruth sah auf. Er hatte jedes einzelne Wort so feierlich betont, daß Ruth den Eindruck hatte, er spiele auf etwas Bestimmtes an. Sie sah ihn abermals an. Er wirkte völlig normal.
Sie beschloß, das Thema zu wechseln. »Die Karten, die man kaufen kann«, sagte sie zu Edek, »kommen mir alle so leblos vor, so gefühllos.« Ruth war der Ansicht, Glückwunschkarten sollten etwas Wichtiges aussagen und das mit Gefühl. Ihre Karten sollten die Menschen bewegen. Sie berühren.
Sie nahm eine Handvoll Glückwunschkarten aus einer Schublade, die bis oben mit Karten gefüllt
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