Chuzpe: Roman (German Edition)
war, die Ruth in verschiedenen Läden gekauft hatte.
»Schau, Dad«, sagte sie. »Das hier ist eine Glückwunschkarte für jemanden, der ein neues Haus gekauft hat.« »Herzlichen Glückwunsch, Hausbesitzer«, stand auf der Karte. Unter diesen Worten war das Foto eines Kühlschranks abgebildet. Wenn man die Karte aufklappte, las man die Worte:»Echt cool, dieses Haus«. Ruth fröstelte beim Anblick der Karte. Die Worte kamen ihr so kalt und abweisend vor wie der Kühlschrank. An »echt cool, dieses Haus« war an sich nichts auszusetzen, aber in Kombination mit einem Kühlschrank sehr wohl. Ruth fand die Karte platt, unangebracht. Ein Hauskauf war für fast jeden eine wichtige und seelisch aufwühlende Entscheidung. Richtig schlimm fand Ruth die Karte nicht. Es gab so viele Karten von unüberbietbarer Geschmacklosigkeit. Diese hier war nur bei weitem nicht das, was sie hätte sein können. Sie schmälerte die Bedeutung des Geleisteten. Und die Freude über das Geleistete.
»Das ist idiotisch«, sagte Edek. »Die Leute haben gekauft ein Haus und nicht einen Kühlschrank. Ich glaube, du wirst haben viel Erfolg mit deinem Kartendings.«
Ruth nahm eine andere Karte in die Hand. »Wieder ein Jahr älter«, stand darauf. »Aber nicht nur Falten bringt das Alter, sondern auch Glück und Dankbarkeit.« Dankbarkeit wofür? fragte sich Ruth. Dafür, daß man noch am Leben war? Diese Karten waren deprimierend. Egal, was man geleistet hatte, welche Kämpfe man bewältigt hatte, am Ende blieb einem nichts als Falten und Dankbarkeit, punktum. Oder Bierbauch, Gebiß und Glatze. Fast alle Karten für Empfänger jenseits der fünfzig hatten als Subtext ihrer Botschaft den, daß der Betreffende auf dem Weg bergab war. Grabgemüse. Die Karten gaben sich humoristisch, aber sie waren beleidigend und kränkend. Sie waren demoralisierend.
»Ich habe mir nie gemacht Gedanken über Falten«, sagte Edek. »Was denkst du, warum sie denken, alle Menschen würden sich nur Gedanken machen über Falten? Und wenn ein Mensch sich macht Gedanken über Falten, dann ist es keine besonders nette Sache, ihm zu schicken zum Geburtstag eine Karte, was spricht von Falten. Ruthie, Liebchen, ich glaube, du hast herausgefunden genau das, was ist nicht in Ordnung mit diesen Glückwunschkarten.«
»Sieh dir diese Geburtstagskarte an«, sagte Ruth. Edek sah sie sich an. »Viele Frauen denken, ältere Männer seien besonders sexy und attraktiv«, las er. Er klappte die Karte auf. Innen stand fettgedruckt: »Diese Frauen sind dämlich.«
»Das ist ein kleines bißchen komisch«, sagte Edek.
»Das finde ich nicht«, sagte Ruth. »Ich finde es niederträchtig, und zwar demjenigen gegenüber, der die Karte bekommt.« Ruth konnte nicht verstehen, warum Karten boshaft sein mußten, damit man sie für komisch hielt. Viele der Karten waren auf hinterhältige Weise boshaft. Sie hatte Zelda einen Packen Karten gezeigt. Zelda hatte es auf den Punkt gebracht. »Diese Karten kommen mir vor wie die Freundin am College, die zu einem sagt: ›In diesen Hosen sieht dein dicker Hintern richtig gut aus.‹ Und es dauert einen Augenblick, bis man kapiert, wie es gemeint war.«
Die Karten, die zwischen Männern und Frauen gewechselt wurden, schienen allesamt Konflikte und Trennendes zu betonen. Sie verstärkten und übertrieben ohnehin fragwürdige Klischees über das Männerbild der Frauen und das Frauenbild der Männer. Es gab keine Offenheit, keine Zuneigung, keine echten Gefühle und keine persönliche Sprache. Viele dieser Karten zeichneten sich durch etwas auffallend Abweisendes aus. Ruth hoffte, den kleinen Kundenkreis anzusprechen, der diese Glückwunschkarten genauso ekelhaft, sentimental oder dümmlich fand wie sie.
Edek hatte sich einige andere Karten aus der Schublade angesehen. »Wenn du den gleichen guten Riecher hast, was du hast bei den Briefen«, sagte er, »dann wirst du meiner Meinung nach haben hundert Prozent Erfolg mit diesen Karten.«
»Das hoffe ich, Dad«, sagte Ruth. »Dann können wir uns alle zur Ruhe setzen.«
»Ich habe mich schon gesetzt zur Ruhe«, sagte Edek. »Und lebe sehr komfortabel dank meiner Tochter.«
Etwas an diesen Worten beunruhigte Ruth. Es beunruhigte sie, daß Edek sagte, er lebe sehr komfortabel. Irgend etwas war daran untypisch. Er hatte keine Klage als Postskriptum hinzugefügt, keinen Wunsch. Er hatte nicht erwähnt, daß ihm nicht mehr viel Zeit bleiben werde. Er hatte ihr nicht einmal gesagt, sie arbeite zuviel. Er hatte
Weitere Kostenlose Bücher