Chuzpe
Bergmann gewesen, zu solch drastischen Mitteln zu greifen. Die beiden hatten sich erst kurze Zeit gekannt, und Bergmann hätte sich jederzeit aus der ganzen Sache herausreden können. So wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, zu behaupten, die Feigl sei ihn angegangen, ob er nicht eine Stelle für sie habe, und er, guter Mensch, der er sei, habe ihr zu helfen versucht. Und da es sich als nicht möglich erwiesen habe, ihr Problem zu lösen, sei es ihm ein Anliegen gewesen, ihr wenigstens ein gutes Essen in einem angesehenen Lokal zu spendieren. Dass sie diese Geste möglicherweise falsch gedeutet habe, dafür könne er schließlich nichts. Diese Erklärung klang, so fand Bronstein, absolut überzeugend, sodass kein Grund gegeben war, sich ob allfälliger Erpressungsversuche der Feigl Sorgen zu machen.
Doch welches Motiv kam sonst in Frage? Wenn der Bergmann kein perverser Triebtäter war, der die Feigl nur zum eigenen Lustgewinn erwürgt hatte, dann näherte sich die Zahl der Möglichkeiten, weshalb er sie nun ermordet haben sollte, schon mehr dem Bereich der Ziffer an.
Wenn man also nun annahm, dass Fritz Bergmann der Täter war, dann hatte man zwei Aspekte des Mordes geklärt: das Wo und das Wie. Blieb das Warum und das Wie weiter. Wenn sichBergmann mit der Feigl schon in der Absicht getroffen hatte, sie anschließend zu töten, und daher auch schon wusste, dass er den Zug nach Ungarn nicht nehmen würde, dann hatte er vielleicht noch eine Nacht im Hotel „Fuchs“ zugebracht, überlegte Bronstein. Es war in jedem Fall kein Fehler, dort einmal nachzufragen, wie lange Bergmann dort insgesamt logiert hatte. Dann wäre möglicherweise auch das „Wie weiter“ geklärt und es bliebe allein die Frage nach dem „Warum“.
Bronstein ließ sich also mit dem besagten Hotel verbinden. Es läutete, und jemand hob ab. „Hotel Fuchs, Grüß Gott“, hörte er.
„Ja, begrüße Sie. Major Bronstein, Polizeidirektion Wien am Apparat. Ich hätte eine Frage an Sie: Können Sie mir sagen, von wann bis wann in der Vorwoche ein Herr Bergmann Ihr Gast war?“
Der Portier sagte etwas von einem Moment, da er erst nachsehen müsse, dann hörte Bronstein, wie geräuschvoll in einem Buch geblättert wurde. Schließlich nahm der Mann am anderen Ende der Leitung den Hörer wieder in die Hand. „Welcher?“
„Was heißt welcher?“, fragte Bronstein verwirrt.
„Na welcher Herr Bergmann. Wir hatten in der Vorwoche zwei Herren dieses Namens bei uns zu Gast.“
„Ach so“, gab Bronstein zurück, „Fritz. Friedrich Bergmann aus Wien.“
„Ja, der war da. Vom 4. bis zum 6.! Er hat sich am Mittwoch nach dem Frühstück die Rechnung machen lassen und hat unser Haus sodann verlassen.“
Bronstein war enttäuscht. Diese Variante schied also aus. Es wäre auch zu schön gewesen, sagte er sich, dass jemand den Herrn Fritz Bergmann am Morgen nach der Tat noch in Wien gesehen hätte. Aber völlig blöde war der junge Bergmann ja schließlich auch nicht. Wenn er die Tat geplant hatte, dann hatte er wohl auch dafür Sorge getragen, dass ihn niemand inder Stadt zu Gesicht bekam, weil sonst sein Alibi in sich zusammengefallen wäre. Und wer immer ein Verbrechen begehen wollte, der achtete darauf, dass sein Alibi hieb- und stichfest war. So hatte es wohl auch Fritz Bergmann gehalten.
„War’s das?“
Die nasale Stimme des Portiers rief Bronstein in Erinnerung, dass er immer noch am Telefon war. Er wollte schon eine Entschuldigung murmeln, um anschließend zu danken und aufzulegen, als ihm noch eine Idee kam. Ohne dass er sagen konnte, warum er diese Frage stellte, erkundigte er sich nach dem Vornamen des anderen Herrn Bergmann.
„Wilhelm“, kam es zurück.
„Wilhelm?“ Bronstein fühlte sich sofort wie unter Strom stehend. „Wilhelm aus Wien? Jahrgang 1898?“
„Das Geburtsdatum hat der Herr nicht ausgefüllt. Aber die Heimatadresse ist tatsächlich Wien. … Ich kann diese Schrift so schwer lesen, aber irgendetwas mit R am Anfang. In Margareten jedenfalls.“
Bronstein hielt die Luft an. Das konnte ja wohl gar nicht wahr sein. War der jüngere Bruder zurück von der Front? „Wann war der Ihr Gast?“, platzte es aus Bronstein heraus.
„Seit 6.! Er kam mittags an, das weiß ich, weil ich da Dienst hatte.“
„Und wann hat er das Hotel wieder verlassen?“
„Nun, gar nicht.“
„Was heißt gar nicht?“
„Er ist immer noch unser Gast. Seit nunmehr einer Woche.“ Bronstein stand vor einem Rätsel. Wenn jemand
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