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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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finstersten Zeiten etwas fand, womit man sich den Magen stopfen konnte. Bronstein bewilligte sich eine verspätete Mittagspause und kehrte in dem Wirtshaus ein.
    Um diese Tageszeit war die Wirtschaft kaum noch besucht. An einem der vorderen Tische saßen noch zwei alte Zecher bei einem Gläschen Wein, hinter ihnen wienerte der Wirt gelangweilt an einigen Gabeln herum. Als Bronstein in die Stube trat, schenkte ihm niemand Beachtung. „Mahlzeit“, sagte er laut und vernehmlich.
    Jetzt erst reagierte der Wirt. „Was darf’s sein?“, fragte er in Bronsteins Richtung. Dieser setzte sich und antwortete: „Gibt’s noch was zu essen?“
    „Viel nimmer. Aber irgendwas findet sich immer.“
    „Was denn zum Beispiel?“
    „Ob Sie’s glauben oder nicht, gnädiger Herr, a Krenfleisch hätt ma da. Feinster Import aus dem Mostviertel.“
    Bronstein wollte sich nicht vorstellen, wie der Wirt an dieses Fleisch gekommen war. In Zeiten wie diesen durfte man nicht allzu wählerisch sein. Vor allem empfahl es sich nicht, Fragen zu stellen.
    „Krenfleisch klingt gut“, meinte Bronstein nur, „und bringen S’ mir an Staubigen dazu. A Vierterl.“
    „Kommt sofort“, prophezeite der Wirt und machte einen Abgang. Bronstein zündete sich eine Zigarette an und sah sich um. Eine Zeitung, so dachte er, wäre jetzt kein Nachteil, um die Wartezeit bis zum Mittagessen zu überbrücken. Zwar sträubte sich einiges in ihm, den Vorderteil eines Presseerzeugnisses zu konsumieren, denn angesichts der Ereignisse vom Vortag konnte einem dieser nur den Appetit verderben, aber neugierig war er schließlich trotzdem: Wie würde die Presse die Begebenheiten rund um die Ausrufung der Republik kommentieren? Und was war in der Zwischenzeit in der Welt vor sich gegangen? Hatten in Berlin die Kommunisten obsiegt, so wie es Jelka prognostiziert hatte? War in der Zwischenzeit endlich dieser unsägliche Krieg zu Ende? Wer kapitulierte nun eigentlich vor den Alliierten, da es die Monarchie nicht mehr gab? Musste diese Aufgabe nun das neue Österreich übernehmen? Eine Menge Fragen für eine kurze Mittagspause. „Sie haben nicht zufällig die Wiener Zeitung vom Tage?“, fragte Bronstein, als der Wirt wieder aus der Küche zurückkehrte.
    „Da muss i schau’n“, entgegnete dieser und begann in einem Papierstoß zu wühlen. Schließlich zeigte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht: „Da hamma s’ ja.“ Bronstein stand erfreut auf und nahm sie dem Mann ab, um sich sodann wieder an seinen Tisch zu setzen. Auch wenn er es nicht begründen konnte, aber das Lesen von Zeitungen beruhigte ihn. Es lenkte wenigstens kurzzeitig von der andauernden Gedankenschwere ab, die üblicherweise an seinen Kräften zehrte. Mit nachgerade kindlicher Neugier machte er sich an die erste Seite. Dort freilich war nur über die Sitzung der Nationalversammlung geschrieben, was ihn sofort nachhaltig langweilte. In diesem Falle meinte Bronstein, er hatte ohnehin schon genug gelitten, da er dieses hohle Gewäsch am Vortag sogar hatte mitanhören müssen.Angewidert blätterte er um. Endlich stieß er auf Passagen, die sein Interesse erweckten. Ausführlich wurde über die Unruhen berichtet, welche die Ausrufung der Republik begleitet hatten. Vor allem bei der Bellaria sei es zu gröberen Zusammenstößen gekommen, stand da zu lesen. Mit nicht geringer Überraschung nahm er zur Kenntnis, dass entgegen seiner Wahrnehmung offiziell niemand gestorben war. Die Behörde gab an, dass insgesamt 31 Personen verletzt worden seien, einige davon schwer. Unwillkürlich fiel Bronstein der Mensch wieder ein, der am Vortag direkt vor seinen Füßen zusammengesunken war. Erstaunlich, dass der überlebt haben sollte, meinte Bronstein, doch war es dennoch erfreulich, sich in einem solchen Falle getäuscht zu haben. Andererseits beschlich ihn der leise Verdacht, diese Meldung könnte getürkt sein, denn die Republik hatte sicher kein Interesse daran, ihre Existenz gleich mit mehreren Toten zu beginnen. Da mochte es also opportun sein, die eine oder andere Leiche im Interesse der Staatsraison zu verschweigen. Aber Bronstein fand, es hatte etwas Tröstliches, sich vorzustellen, alles sei noch einmal gutgegangen, und so beließ er es auch für sich bei dieser Fassung der Wahrheit und freute sich, dass niemand ernstlich zu Schaden gekommen war.
    Mittlerweile war der Wirt neuerlich aus der Küche gekommen und stellte einen Teller vor ihm auf den Tisch. Bronstein machte noch einen kräftigen Schluck aus

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