Chuzpe
schon, Bub, sag, was dich bedrückt. Ich versprech dir, danach wird’s dir besser gehen!“ Bergmann zog Rotz auf und mühte sich verzweifelt um Haltung.
„Der Oasch“, begann er endlich, „immer hat er mir alles wegg’nommen. Des war schon so, da war i no ganz klein. Wenn mein Vater mir zufällig auch einmal was g’schenkt hat, dann hat man sicher sein können, er reißt es mir einfach aus der Hand. Und wenn ich versucht hab, mich zu wehren, dannhat er mich verdroschen. So lang, bis i mi nimmer rühren hab können. So is des mei ganze Kindheit gangen. Grün und blau hat er mich g’haut, und der Vater ist dabeig’standen und hat g’lacht. Es war die Hölle, die reine Hölle. Der Krieg war nix dagegen, und i waas, wovon i red.“
Wieder zog Bergmann umständlich Nasenschleim auf und wischte sich mit dem Hemdsärmel über sein Riechorgan.
„Nur bei der Hanni, da hab i mi wohlg’fühlt. Da is’s ma gut gangen. I hab ma denkt, irgendwann hat das alles ein End, und dann heirat’ i die Hanni, und alles wird gut. Ja, schmeck’s!“
„Der andere war der Fritz“, erkannte Bronstein plötzlich. Bergmann sah ihn lange an, dann nickte er, und in seinem Gesicht stand nichts anderes als unendliche Traurigkeit geschrieben. „Deswegen bist also zum Heer. Weil dir dein Bruder das Einzige weggenommen hat, was dir damals noch was bedeutet hat.“ Abermaliges Nicken Bergmanns.
„Du hast glaubt, durch den Krieg wird alles anders. Du hast g’hofft, du vergisst die Hanni. Aber du hast sie ned vergessen!“ Drittes Nicken.
„Und dann bist heimgekommen aus dem Krieg. Und du bist zur Hanni, wolltest sie wiedersehen …“
„Ja“, griff Bergmann die Erzählung auf, „am 1. November war’s. I hab ja g’wusst, wo s’ wohnt, und so bin i einfach hin und hab anklopft bei ihr. Sie hat sich so g’freut, dass i wieder da war!“ Die letzten Worte Bergmanns gingen in einem neuerlichen Weinkrampf unter. Bronstein beschloss, dem Mann Zeit zu geben. Die Sache war ohnehin schon entschieden, weiteren Widerstand würde es nicht mehr geben. Er schickte die beiden Polizisten mit einer leichten Kopfbewegung aus dem Raum und beschied Pokorny mit einer kleinen Geste seiner rechten Hand, Notizen zu machen.
„Richtig schön hamma’s g’habt.“ Bergmanns Stimme wirkte, als käme sie von weit weg und dringe nur ganz leise an Bronsteins Ohr. „Am Samstag sind wir in den Prater gegangen, unddann hat sie mich mit nach Haus g’nommen. Den ganzen Sonntag war ich bei ihr. Ich hab bei ihr schlafen dürfen. In ihrem Bett. Und sie hat g’sagt, ich bin so viel besser wie der Trottel. Ich hab g’laubt, sie redet von meinem Bruder, dabei is’ da um irgendeinen Eisenbahner gangen. Und ich Depp hab g’meint, der ganze Dreck mit dem Krieg und so, der war am End doch für was gut. Am Montag in der Früh hat s’ mich noch abbusselt als wie und hat g’sagt, ich soll sie am Abend vom G’schäft abholen. Und wie ich dann … und wie ich dann …“
Bergmann schlug die Hände vors Gesicht und brach abermals in Tränen aus. Bronstein spielte mit einer ungerauchten Zigarette und wartete, bis Bergmann sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte. „Und wie du …“, ermunterte er diesen endlich, mit seiner Erzählung fortzufahren.
„Und wie i dann dort war, da war s’ auf einmal ganz anders. So bös, so schneidend, so verletzend. Schleichen soll i mi, hat’s ’zischt, weil der Fritz gleich kommt. Und der darf uns ned sehen. … Der Fritz! Weiß der Himmel, woher der erfahren hat, dass i wieder in Wien war. I hab mi extra ned g’meldet bei denen, damit keiner auf die Idee kommt, mich wieder so zu behandeln wie damals. Aber irgendwie hat die Sau Wind kriegt von der G’schicht, na und da hat er si sofort wieder zuweg’schmissen an die Hanni. Und die is ihm glatt wieder auf den Leim gangen. G’warnt hab i sie vor ihm! Der spielt sich doch nur mit dir. Für den bist nur a Zeitvertreib, hab i ihr g’sagt, aber sie hat ned hören wollen. Und ang’fleht hab i sie, dass mi ned so fallenlassen soll. Aber des war ihr alles wurscht. Kaum ist der Halawachl wieder auftaucht, war i Luft. Und das ordentlich!“
Bronstein rechnete mit einem weiteren Weinkrampf, doch diesmal starrte Bergmann einfach nur ins Leere. Den ganzen Dienstag bin i herumtigert wie a Bär im Käfig. I hab ned g’wusst, was i tun soll. Am Abend hab i mi dann besoffen. AmMittwoch hab i mi vor ihrem G’schäft postiert und hab g’wartet, was passiert. Kurz vor
Weitere Kostenlose Bücher