CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
für den Einsatz der U-2-Flüge beim Präsidenten. Aber Bissell war der Leiter des Programms, und es fuchste ihn, seine Flugpläne anmelden zu müssen. Er versuchte, die Richtlinienkompetenz des Präsidenten zu umgehen, indem er die Flüge insgeheim über die Briten und Nationalchinesen abwickelte. In seinen Erinnerungen schreibt er, Allen Dulles sei entsetzt gewesen, als er erfuhr, der erste U-2-Flug habe direkt über Moskau und Leningrad hinweggeführt. Der CIA-Chef hatte keine Ahnung gehabt, weil Bissell es nicht für angebracht gehalten hatte, ihm davon Mitteilung zu machen.
Wochenlang debattierte er mit dem Weißen Haus, bevor Eisenhower schließlich nachgab und für den 9.April 1960 einen Flug von Pakistan aus über die Sowjetunion genehmigte. Nach außen hin war es ein Erfolg. Die Sowjets hatten allerdings mitbekommen, dass ihr Luftraum ein weiteres Mal verletzt worden war, und so schalteten all ihre Warnlampen auf Rot. Bissell machte sich für einen weiteren Flug stark. Der Präsident setzte den 25.April als äußerste Frist fest. Der Tag kam, und über den anvisierten Zielen auf dem Territorium der UdSSR lag eine dichte Wolkendecke. Bissell bat um mehr Zeit, und Eisenhower gewährte ihm einen Aufschub von sechs Tagen. Der folgende Sonntag war der letzte Tag für einen Flug vor dem Pariser Gipfeltreffen. Bissell versuchte, das Weiße Haus zu umgehen, indem er sich an den Verteidigungsminister und an den Vorsitzenden des Stabs der Oberkommandierenden wandte und sie um Unterstützung für einen weiteren Flug bat. In seinem Eifer vergaß er einen Plan für den Katastrophenfall.
Am 1.Mai geschah, was Präsident Eisenhower immer befürchtet hatte, die U-2 wurde über Zentralrussland abgeschossen. Francis Gary Powers, ein CIA-Pilot, überlebte den Absturz und wurde gefangen genommen. An jenem Tag war C. Douglas Dillon diensthabender Außenminister. »Der Präsident ordnete eine enge Zusammenarbeit mit Allen Dulles an«, erinnert sich Dillon. »Wir mussten irgendeine Erklärung an die Öffentlichkeit geben.« Zum Entsetzen der beiden Männer erklärte die NASA, ein Wetterflugzeug werde über der Türkei vermisst. Dies war die Tarngeschichte der CIA. Entweder hatte Dulles als CIA-Direktor nie davon gehört oder alles darüber vergessen.
»Wir konnten nicht begreifen, wie das geschehen war«, schreibt Dillon. »Aber wir mussten sehen, wie wir da rauskamen.«
Das erwies sich in der Tat als schwierig. Weißes Haus und Außenministerium hielten an der Tarngeschichte fest und täuschten die amerikanische Öffentlichkeit eine Woche lang über die Hintergründe des Flugs. Ihre Lügen wurden immer durchsichtiger. Die letzte wurde am 7.Mai aufgetischt: »Es gab keine Genehmigung für einen solchen Flug.« Darauf knickte Eisenhower ein. »Er konnte nicht zulassen«, so Dillon, »dass Allen Dulles als der Alleinschuldige dastand, denn das hätte so ausgesehen, als ob der Präsident nicht gewusst hätte, was in der Regierung ablief.«
Als Eisenhower am 9.Mai das Oval Office betrat, sagte er unumwunden: »Am liebsten würde ich zurücktreten.« Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten begriffen Millionen von Bürgern, dass der Präsident sie unter Berufung auf die nationale Sicherheit belügen konnte. Die Theorie vom glaubhaften Dementi war damit gestorben. Das Gipfeltreffen mit Chruschtschow war geplatzt, und die kurze Tauwetterperiode im Kalten Krieg machte einer neuen Eiszeit Platz. Für fast ein Jahrzehnt machte das Spionageflugzeug der CIA jeden Gedanken an eine Entspannung zunichte. Eisenhower hatte der letzten Mission in der Hoffnung zugestimmt, die behauptete Raketenlücke werde sich als Schwindel erweisen. Stattdessen hatte die Aufdeckung des Flugzeugabsturzes ihn selbst als Lügner dastehen lassen. Nach seiner Amtszeit räumte Eisenhower ein, dass ihm während der Präsidentschaft am meisten »die Lüge« leidgetan habe, »die wir über die U-2 in die Welt gesetzt haben. Mir war nicht klar, welch hohen Preis wir für diese Lüge würden zahlen müssen.«
Der Präsident wusste nun, dass es ihm nicht gelingen würde, in einem politischen Klima des internationalen Friedens und der Verständigung aus dem Amt zu scheiden. Er war daher entschlossen, vor Ende seiner Amtszeit so vielen Teilen der Erde wie möglich einen politischen Besuch abzustatten.
Der Sommer des Jahres 1960 stürzte die CIA in eine Krise nach der anderen. Immer mehr rote Pfeile, die die Unruheherde in der Karibik, in Afrika und in
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