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Ciara

Ciara

Titel: Ciara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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Kontrolle über mich zu verlieren.«
    »Das habe ich schon mal überlebt«, versuchte Mike sie zu beruhigen, öffnete den Sicherheitsgurt und erhob sich. »Aber wir sind da, komm.« Er hielt ihr seine rechte Hand hin, die sie ergriff. Mike zog sie hoch, dabei raubten die verstärkten Gerüche von Mikes Endorphinen, die er, ohne es zu merken, verströmte, Ciara beinahe die Sinne. Sie ertastete die Adern unter der Haut seiner Hand, nahm den Duft des Blutes, das durch ihn floss, intensiv wahr. Mit einer ruckartigen Bewegung befreite sie sich aus seinem Griff.
    »Was ist los?«
    »Ich brauche Blut. Geh weg von mir.«
    Seine Augen weiteten sich. Erst jetzt begriff er. Eilig zog er den Reißverschluss seiner Tasche zu, aus der das Frettchen neugierig gelugt hatte, und verließ den Hubschrauber.
     
    Erst nach über einer halben Stunde, in der Mike vor dem Check-in wartete, traf Ciara bei ihm ein.
    »Entschuldige. Ich – ich weiß nicht, wie ich es dir erklären kann.«
    »Vergiss es!«
    Nach einer kurzen Pause sagte sie: »Ich hab John bezahlt. Er lässt dich grüßen und hofft, uns nicht so bald wieder zu sehen.«
    »Das kann ich ihm nicht übel nehmen.« Mike flüsterte, doch die nächsten Worte hauchte er so leise, dass Ciara sie nur verstand, weil sie die Bewegung seiner Lippen beobachtete.
    »Wo hast du das Blut her? Hast du ihn …?«
    »Was?«
    »Dir geht es gut. So war es bei Paul, nachdem er Blut zu sich genommen hatte.«
    »Ich habe keinen Menschen getötet. Bitte glaube mir!«, wisperte Ciara.
    »Was meine Frage nicht beantwortet.«
    Nervös fuhr sich Ciara durch die langen Haare. »Wir sind dran«, stellte sie erleichtert fest.
    Als in der wartenden Menschenschlange hinter ihnen jemand zu schreien begann, zuckte Mike zusammen. Eine Ahnung schlich sich in seine Gedanken.
    »Where is my dog? Oh, Penny! No! No! No!«
    Sie drehten sich zu der älteren Dame um, die verzweifelt nach ihrem Hund suchte und ihn trotz der Hilfe der Umstehenden nicht fand. ›Natürlich nicht‹, dachte Mike.
    Ungehindert kamen sie durch die Kontrolle und bestiegen das Flugzeug, um von Trenton aus nach Deutschland zurückzufliegen.
     
    Müde betrachtete Ciara die Wolken. Sie versuchte, Pauls Wissen, das sie in sich aufgenommen hatte, zu verarbeiten. Vieles fügte sich in ihre eigenen Erfahrungen ein, manches wollte ihr noch nicht klar werden. Panik stieg in ihr auf, als sie auf ein Erlebnis weit in seiner Vergangenheit stieß. Sie hatte ihn nie gefragt, wie er das erste Glied seines kleinen Fingers verloren hatte und warum seine Fingerkuppen über diese einzigartige Form verfügten. Sie wusste nun, dass auch ihre Fingerabdrücke demnächst nicht mehr lesbar sein würden. Sie schloss die Augen, und als ob ihre Lider als Leinwand dienten, sah sie den Abschnitt seiner Vergangenheit, der ihm stets Albträume beschert und ihn dazu veranlasst hatte, seine Gabe einzufrieren – ein Stummfilm in schwarzweiß, den sie nicht nur mit seinen Augen betrachtete, sondern der auch seine Gefühle vermittelte:
    Diese Gier, diese grausame Gier nach Befriedigung und der Hunger, der in so quälte, dass er glaubte, sein Magen müsse zu einem erbsengroßen Organ geschrumpft sein, weil er seit Wochen, nein: Monaten oder Jahren, keine Nahrung bekommen hatte. Die Sonne verbrannte ihm die Haut, doch er hatte es satt, nur in der Nacht nach draußen zu gehen. Keiner der Ärzte und Lehrer im Heim hatte ihm sagen können oder wollen, woran er litt. Aber er musste die Sonne sehen und ihre warmen Strahlen auf seiner Haut spüren. Wollte bei Tageslicht durch die Stadt streifen und die Menschen in ihren bunten Kleidern betrachten. In den frühen Morgenstunden hatte er sich aus dem Heim gestohlen. Wie ein verletzter Hund rannte er durch die Stadt, bis er das Hinweisschild eines Ärztehauses entzifferte. Neben einer Gynäkologin und einem Zahnarzt befand sich darin auch eine Hautärztin. Er spürte die Verbrennungen in seinem Gesicht. Wer sonst könnte ihm jetzt noch helfen? Die Kühle des Hausflures beruhigte seine Sinne für einen kurzen Moment, doch der Hunger wütete weiter in ihm. Er schleppte sich mühsam die Stufen hinauf, bis er zum obersten Flur gelangte. Er drückte die Tür auf und war überrascht von der Ruhe in der Praxis. Jalousien verdeckten die Fenster. Niemand schien da zu sein. Es war viel zu früh. Als er in den Raum trat und die Tür hinter ihm zufiel, hörte er eine Sirene heulen. Verwirrt blickte er sich um. Eine blonde Frau eilte aus einem der

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