Ciara
zusammenzubrechen drohte.
Endlich erreichte sie ihr Haus. Die Strecke war ihr noch nie so lang vorgekommen. Nachdem sie das Foyer betreten hatte, spürte sie Ruhe, Wärme und Geborgenheit, und sie sah den ihr vorbestimmten Weg. Sie eilte in ihr Zimmer, griff nach dem schwarzen Nylonrucksack, der unter ihrem Bett lag, stopfte ein paar Kleidungsstücke hinein und rannte in die Küche. Außer Proviant packte sie fünf Ampullen und genauso viele Einwegspritzen ein, die Paul auf dem Küchentisch zurückgelassen hatte. Drei Beutel von dem im Kühlschrank gelagerten Blut legte sie dazu.
Sie rief nach dem Frettchen. Diesmal versteckte es sich im Küchenschrank, wo es vor einer offenen Dose Nüsse saß und eine Erdnuss nach der anderen knabberte. »Ich muss dich hier lassen. Aber ich verspreche, dass ich bald zurück bin.« Zärtlich streichelte sie dem Frettchen über den Kopf, das sich sehnsüchtig in ihre Hand schmiegte und leise zu schnurren begann. Es schaute sie mit runden, traurigen Augen an, als Ciara ihre Hand wegzog. Sie stellte ihm ein Schälchen frisches Wasser auf den Boden und füllte eine weitere Schale mit Mais und Sonnenblumenkernen, legte einen Apfel, eine geschälte Banane und ein trockenes Brötchen dazu. Sie wusste nicht, was ein Frettchen fraß, und hoffte, dass irgendetwas davon seinen Geschmack traf.
Zum Schluss jagte sie die Stufen hinauf in das Zimmer ihrer Mutter. Dort schob sie das Tagebuch in den Rucksack, legte fünf unbenutzte Stumpenkerzen dazu, packte Kräuter und Harze ein, die in verschiedenen Tiegeln aufbewahrt wurden, vergaß auch das Feuerzeug nicht und steckte einen Bergkristall in ihre Hosentasche. Kurz bevor sie aus dem Haus ging, fielen ihr die Kanülen ein, die sie für die Bluttransfusion benötigte. Sie lief zurück in ihr Zimmer und holte dort aus dem Karton das entsprechende Zubehör.
Sie spürte Paul, der sich näherte. Doch diesen Weg musste sie alleine gehen.
Als Paul zu seinem Wagen zurückkehrte, überraschte es ihn nicht, dass Ciara verschwunden war. Er selbst hätte genauso gehandelt. Doch ihr eigenmächtiges Vorgehen konnte sie das Leben kosten. Darum öffnete er seine Sinne, um Ciara mit seinem inneren Auge zu erfassen, aber es gelang ihm nicht. Seine Fähigkeiten hatte er über Jahre hinweg nicht benutzt und stets gehofft, dies nie mehr zu müssen. Dennoch vermutete er, dass er Ciara nicht aufgrund seiner mangelnden Übung verfehlte, sondern vielmehr wegen ihrer überwältigenden Talente. Sie verschloss sich ihm perfekt.
Paul startete den Motor und fuhr los, gleichzeitig tastete er mit einer Hand nach seinem Handy, das er unter dem Sitz versteckt hatte. Damit er für Mike erreichbar blieb, dem er seine Nummer gegeben hatte, schaltete er das Mobiltelefon ein, tippte den vierstelligen Geheimcode und schob es in die Jackentasche.
Die Temperatur war gesunken, sodass sich der feuchte Belag in Glatteis verwandelte und sich die Fahrt als Rutschpartie gestaltete. Doch Paul manövrierte den Wagen geschickt an dem teilweise zum Erliegen gekommenen Verkehr vorbei, verwendete dafür Parkbuchten, Haltestellen und ab und an den Bürgersteig, um endlich in den Feldweg einzubiegen. Auch hier schlitterte er mehr, als dass er fuhr, aber schließlich gelang es ihm, den Wagen in der Einfahrt von Ciaras Haus zu parken.
Ihre Entschlossenheit schlug ihm im Foyer entgegen; wie Parfüm aus einem Zerstäuber hatte sie ihre Gefühle versprüht, ohne es zu wissen.
Er folgte dem Geruch, begann im Schlafzimmer, ergriff dabei den Karton mit den übrig gebliebenen Kanülen, eilte in die Küche und legte die restlichen Blutkonserven in die Kühlbox, die er hinter die Tür gestellt hatte. Das Frettchen huschte auf ihn zu, sprang auf seinen Arm und legte sich auf seine Schulter. »Du willst mit?«, fragte Paul und deutete den Augenaufschlag des Tieres als Zustimmung.
Eiligen Schrittes durchquerte er das Foyer, obwohl er wusste, dass Ciara noch das Zimmer ihrer Mutter aufgesucht und ein letztes Mal in ihr eigenes zurückgegangen war, bevor sie – wie er jetzt – das Haus verlassen hatte.
Die Kühlbox mit dem Karton darauf legte er in den Beifahrerfußraum und das Frettchen auf den Sitz. »Aber nicht, dass du mir wieder draufpinkelst.« Für die Ermahnung schien es sich nicht zu interessieren. Es drehte sich mehrmals um die eigene Achse und wandte Paul sein Hinterteil zu, als es sich endlich hinlegte.
Paul schnalzte mit der Zunge. Er legte seine Hände auf das mit schwarzem Leder bezogene
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