Ciara
Stück –, bis diese in Fetzen herabfiel. Beinahe zärtlich streichelte er mit der glatten, kalten Klinge über ihre nackte Haut, zerteilte mit einem Ruck ihre Unterwäsche und führte die schmale, scharfe Spitze des Messers in sie, um ihr Jungfernhäutchen zu durchstoßen.
Er hätte sie von oben bis unten aufschlitzen können. Die Waffe drängte sich in den Vordergrund ihrer Erinnerung und drehte sich wie auf einem Präsentierteller: Die zweischneidige Klinge steckte in einem schlichten kupferfarbenen Griff – das Ritualmesser, ein Athame, wie es auch ihre Mutter besessen hatte.
In den letzten Tagen war so viel geschehen, dass Ciara nicht mehr an einen Zufall glaubte. Mehrfach atmete sie tief durch, öffnete die Augen und stieß sich ruckartig von der Hauswand ab. Sie orientierte sich kurz, wählte den Weg nach rechts und lief über die Straße.
Einige Passanten schielten auf die dicken Socken, die sich Ciara über ihre schwarzen Stiefel gezogen hatte. Aber die skeptischen oder amüsierten Blicke ignorierte Ciara, denn mit der rauen Wollsohle lief sie nicht Gefahr, auf dem Glatteis auszurutschen, und musste sich auch nicht dem Breakdance mancher Fußgänger anschließen. Wie eine Katze schlich sie so durch die Straßen, an Geschäften vorbei, aus denen die letzten Kunden strömten, drängte sich durch Trauben von Menschen, die zitternd auf den Bus warteten, und rannte durch verlassene Gassen. Mit ihrer Fähigkeit verdrängte sie den Gestank von fettiger Bratwurst, der aus einem Imbiss quoll, und den Schweiß, den manche Passanten vergeblich mit dicken Parfümwolken einzudämmen versuchten. Sie konzentrierte sich vollkommen auf den Geruch des Täters und nahm dessen Fährte auf wie ein Bluthund. Seine abstoßende Nähe verfolgte sie, seit sie aus Pauls Wagen gestiegen war. Er lachte sie aus, spielte Verstecken mit ihr, aber sie plante, ihn aufzuspüren und sich seiner zu entledigen. Nichts anderes verdiente er.
»Sie ist stark, sie kann das Böse bekämpfen.«
Dieser eine Satz ihrer Mutter aus dem lebhaften Traum drängte sich zunehmend an die Oberfläche ihrer Gedanken.
Ciara wanderte auf der Suche nach
ihm
so lange durch die Stadt, bis das Licht des abnehmenden Mondes ihren Weg erhellte.
Sie blieb an einer Ecke stehen. Den Kopf in den Nacken gelegt, schaute sie die noch nahezu runde Scheibe an, die durch eine Lücke in der fast geschlossenen Wolkendecke hervorlugte. Ihre Augen begannen zu tränen. Sie schauderte. Was sollte geschehen, sobald sie ihm gegenüberstand? Vollendete er dann das, was er begonnen hatte? War die Attacke des Frettchens ihre Rettung gewesen? Oder gehörte all dies zu einem Ritual? Sollte sie das Böse in sich selbst besiegen? Durch seinen Tod – oder durch ihren? Die unvernünftige Neugier verwandelte sich in zunehmenden Wahnsinn, und den Weg zurück verbaute sie sich selbst mit aus Stolz und Hass errichteten Mauern.
Ein letzter Funke Vernunft in ihr wusste, dass sie etwas essen und sich ausruhen musste, darum kehrte sie in einem kleinen Hotel ein, bezahlte im Voraus für eine Nacht mit ihrer Kreditkarte und bestellte sich ein Abendessen auf das Zimmer.
Als sie fünfzehn Minuten später aus dem Badezimmer trat, lediglich mit einem Bademantel bekleidet, und sich die langen Haare mit einem Handtuch trocken rubbelte, klopfte es an der Zimmertür. Für Sekunden vermutete sie, Paul habe sie aufgestöbert, dann begann ihr Pulsschlag zu rasen, als sie an
ihn
dachte. Sie öffnete eine winzige Luke zu ihren Sinnen, um nicht angreifbar zu sein.
Ihr Magen begann lautstark zu knurren. Köstliche Essensdüfte aktivierten den Speichelfluss, sie leckte sich über die Lippen und schluckte. Schnell öffnete sie die Tür und nahm das Tablett entgegen, auf dem ein Teller mit einem dampfenden, knusprig gebratenen Schollenfilet und zwei kleine silberne Schüsselchen standen. Eines gefüllt mit Salzkartoffeln, das andere mit flüssiger Butter, auf der Petersilienbüschel schwammen. Die Wirtin nickte Ciara lächelnd zu und huschte über den Flur die Treppe hinunter, so leise wie eine Fee.
Vorsichtig balancierte sie das Tablett zu dem kleinen Tisch, der direkt neben dem Bett auch als Nachttisch diente. Anschließend verschloss sie die Tür, schaltete den Fernseher an und widmete sich – während sie von einem Sender zum anderen zappte – ihrem Abendessen.
Die Vorstellung, sich in einen stickigen Bus zu quetschen, womöglich keinen Sitzplatz zu erwischen oder neben einem Betrunkenen hocken zu
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