Ciara
Alibi angegeben, um erklären zu können, woher ich wusste, dass Paul Blut benötigt.«
Stumm sahen sie sich an. Schließlich sprach Ciara aus, was auch Mike dachte: »Wir müssen ihn da rausholen!«
Das silberne Mondlicht zwängte sich durch die Wolkendecke, drängte sich gemeinsam mit der Nacht gegen die Scheiben und schien ihn zu verhöhnen. Paul drehte den Kopf weg und starrte an die graue Wandverkleidung, in die winzige Neonlampen eingelassen waren, die den Raum künstlich erhellten. Das Entsetzen, das er bei seinem Erwachen vor über einer Stunde empfunden hatte, hielt nach wie vor an. Ohne dass es ihm jemand mitteilte, wusste Paul, dass sich der Jet im Landeanflug auf den Flughafen in Trenton im US-Staat Maine befand.
Seine Kollegen hatten ihn verraten.
Niemand interessierte sich noch dafür, dass er gute Arbeit geleistet hatte und zuverlässig gewesen war, dass sie nach der Arbeit oft zusammen essen gegangen waren oder dass er – Paul – der Frau von Hendrik bei der Geburt seines Sohnes das Leben gerettet hatte.
Alles vergessen, was jetzt noch zählte, war die Gier nach Geld und die Dummheit der Menschen.
Falls Hendrik den offiziellen Weg gegangen war, was Paul bezweifelte, erhielt er als Tausch eine akzeptable Summe, die das Krankenhaus über die nächsten Jahre aus dem finanziellen Engpass führen würde. Aber Paul vermutete, dass Hendrik das Geld für seine eigenen Zwecke einheimste. Er war immer schon korrupt gewesen. Paul hatte das gewusst, es ihm aber nie wirklich nachweisen können. Und Stephan glaubte vermutlich, ihm mit dieser Einweisung zu helfen. Der lebte seit jeher in einer anderen Welt, in der es nur gute Menschen mit noblen Absichten gab, und das, obwohl sein Job ihm längst das Gegenteil bewiesen haben sollte.
Da kam die Schwester aus dem Cockpit zurück. Sie begleitete ihn die Zeit über, ließ ihn nur selten allein, versorgte ihn mit Blut und fütterte ihn mit Kohlenhydraten. Ihre braunen Augen wichen seinem Blick stets aus. Das ebenfalls braune Haar rollte sich zu einem Dutt hochgesteckt zusammen, ihre grobporige Haut glänzte an Stirn und Kinn und wirkte ungepflegt. Obwohl die Unbekannte Mitte zwanzig sein musste, sah sie zehn Jahre älter aus. Mehrfach hatte er versucht, ihre Gedanken zu lesen, doch sie schien keine Erinnerungen zu haben, nicht einmal einen eigenen Willen. Auch auf seine Fragen schwieg sie, als sei sie taubstumm. Sie musste einen hervorragenden Lehrer haben oder den erbarmungslosen Befehlen eines skrupellosen Mentors folgen. Ohne ihm zu erklären, was sie ihm verabreichen wollte, zog sie eine Spritze auf und stach ihm die Nadel in den Oberarm. Reflexartig zuckten seine Hände und wollten die Spritze aus der Haut ziehen, doch seine Arme waren angeschnallt, ebenso seine Beine. Bewegungsunfähig und voller Zorn spürte er das Brennen der injizierten Flüssigkeit. Paul schloss die Augen, bleierne Schwere legte sich über seine Lider und breitete sich in seinem gesamten Körper aus. Ein Schlafmittel. Warum sollte er jetzt schlafen? Er wollte nicht schlafen. Er musste hier raus.
Dann dachte er an Ciara und er verspürte eine tiefe Traurigkeit. Mit der Zeit würde sie ihre Fähigkeiten auch ohne ihn erlernen. Unter diesen Umständen gäbe er sein Leben dafür, sie zu küssen. Seine Schwäche – ihre Stärke, der er unterliegen dürfte, und seine Odyssee fände ein Ende.
Er dämmerte vor sich hin. Erst als Paul spürte, wie er erneut hochgehoben und aus dem Hubschrauber getragen wurde, erwachte er und schaute sich, noch wirr vom Schlaf, um. Die Personen, die ihn trugen, erkannte er aus seiner liegenden Position nicht, aber er erspähte Abschnitte eines großen, rechteckigen Gebäudes mit weiß getünchten Außenwänden und schwarz umrahmten Fenstern.
Hinter sich hörte er, wie der Helikopter abflog und ihm somit jede Möglichkeit nahm, von der Insel zu flüchten.
Paul wurde über ein Grundstück auf das Haus zu, durch die geöffnete Eingangstür in eine Vorhalle, eine Treppe hinauf und in ein Zimmer hinein getragen. Dort setzten sie die Trage auf dem Boden ab und befreiten ihn von seinen Fesseln. Zwei muskulöse männliche eineiige Zwillinge gafften ihn an, als sei er Satan persönlich, oder der liebe Gott. Schnell besannen sie sich und verschwanden mit der Trage aus dem Raum. Paul blieb allein.
Zögernd setzte er sich auf die Kante am Ende des Bettes. Die niedrige Temperatur im Zimmer ließ Paul schaudern. Er trug nur ein dünnes Krankenhaushemdchen, das ihm
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