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Ciara

Ciara

Titel: Ciara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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vorne bis zu den nackten Knien reichte und am Rücken mit schmalen Bändern an Hals und Taille festgebunden war.
    Ohne jegliche Gefühlsregung blickte Paul geradewegs auf einen Kleiderschrank aus hell gebeiztem Weichholz. Daneben führte eine Tür ab – möglicherweise das Bad. Sich zu vergewissern, fühlte Paul sich noch nicht stark genug. Er drehte sich nach hinten und entdeckte links neben dem Bett, das mit dem Kopfende an der Wand stand, eine Kommode, rechts daneben ein niedriges Tischchen und einen schlichten Holzstuhl. Auf der rechten Seite des Zimmers gab eine Fensterfront das Panorama auf eine gepflegte, in Schweinwerferlicht getränkte Gartenanlage frei. An den Seiten des Fensters hingen schwarze gummiartige Vorhänge. Er schaute auf seine Armbanduhr, die kurz nach eins in der Nacht anzeigte. Hier war es sechs Stunden später. Manuell verstellte er die Uhrzeiger. Als habe ihn dies immense Kraft gekostet, sank er müde nach hinten und bemerkte neben sich Kleidungsstücke, die vermutlich für ihn dort zurechtgelegt worden waren.
    Sein suchender Blick erfasste einen gleichmäßig runden Fleck von ungefähr fünf Zentimetern Durchmesser direkt über dem Bett, einen weiteren unter der Decke vor dem kurzen Gang, der zur Ausgangstür führte, und einen dritten über der Badezimmertür.
    Kameras.
    Er winkte in das Okular direkt über ihm, streckte die Zunge raus, ballte beide Hände zu Fäusten und klappte jeweils die Mittelfinger heraus. »Never«, sagte er dabei und erhob sich. Sein Kampfgeist kehrte allmählich zurück. Er trat vor den Schrank und öffnete ihn. Auf Zedernholzbügeln hingen Hemden und Pullover, die seinem Stil entsprachen. Mit Schwung schob er die Kleidung zur Seite. Daneben befand sich genügend Platz für einen Menschen.
    Die Sachen auf dem Bett ignorierte er und suchte sich selbst einen blaugrauen Pullover, eine schwarze Jeans und Unterwäsche aus. Damit setzte er sich in den Schrank, schloss die Türen und zog sich in der Dunkelheit an. Die Enge schränkte seine Bewegungsfähigkeit ein, aber schließlich gelang es ihm, sich des steifen Krankenhaushemdes zu entledigen und die frische, tatsächlich duftende Wäsche, die Jeans und den Pulli überzustreifen. Der Geruch des Zedernholzes kitzelte ihn in der Nase. Mehrmals nieste er. Er trat aus dem Schrank heraus und stieß beinahe mit einem Mann zusammen, der sich in das Zimmer geschlichen hatte.
    Dessen grauer Anzug und die blaue Krawatte sollten einen seriösen Anschein erwecken, mutmaßte Paul, doch der Ausdruck in den hellgrünen Augen sprach von Skrupellosigkeit. Seine ergrauten Augenbrauen wirkten wie mit einem dünnen Bleistift gezogen, das runde, pausbackige Gesicht wollte nicht zu dem schlanken Körper passen. Er sagte kein Wort, nickte Paul nur zu und verließ den Raum wieder. Doch schon nach wenigen Minuten kehrte er mit einem Tablett zurück, auf dem leere Ampullen zur Blutabnahme, eine Nadel, ein Blutdruckmessegerät und ein Blutzuckermessgerät lagen.
    Von da an nahm ihm Doktor Frankenstein, wie Paul ihn in Gedanken nannte, stündlich Blut ab, maß Blutdruck und Puls und holte sich den aktuellen Blutzuckerwert, indem er Paul jedes Mal mit einer winzigen Nadel in den Finger piekte, einen Blutstropfen auf den Teststreifen des Messgerätes abstreifte und den Wert ablas.
    Dabei kommunizierte er in keiner Form mit Paul, er lächelte lediglich, so als habe er seine Stimmbänder vor der Tür lassen müssen und als Gegenleistung die kleinen Lachfalten ins Gesicht gefräst bekommen. Sein dichtes weißes Haar lag stets ordentlich zurückgekämmt, als habe er es mit reichlich Haarspray festgeklebt. Schlaf schien der Mann nicht zu benötigen. Auch Paul fand keine Ruhe, und so hatte er sich den Stuhl vors Fenster gestellt und sehnsüchtig in die Nacht gestarrt. Die Sonne ging über dem Meer auf und der Fremde erschien zum fünften oder auch achten Mal – Paul hatte längst aufgehört zu zählen.
    »Ich finde, Sie könnten mir wenigstens sagen, mit wem ich es zu tun habe, wenn Sie mir schon mein Blut rauben und mich quälen.« Es überraschte ihn, dass er diesmal eine Antwort, zudem in seiner Heimatsprache, erhielt:
    »Dr. Smith, Leiter des Instituts und ihr persönlicher Betreuer.«
    »Oh, welche Ehre. Ich muss mich ja vermutlich nicht vorstellen?«
    Nur ein Lächeln als Antwort.
    »Was bezwecken Sie damit?«
    »Wir erstellen ein engmaschiges Diagramm, Mr. Philis.«
    »Wie schön. Und wozu?«
    Das Grinsen verschwand nicht, und in Paul erwachte

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