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Ciara

Ciara

Titel: Ciara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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seines Handys unterbrach ihre Unterhaltung. Suchend nestelte er an seiner Jackentasche, bis er das Mobiltelefon endlich in der Hand hielt. Er nahm das Gespräch entgegen und lauschte.
    »Seit wann?« Nach einer kurzen Pause sagte er leise: »Gut, ich komme.« Er trennte die Verbindung, schloss die Augen für wenige Sekunden und wies dann den Taxifahrer an: »Bitte fahren Sie ins Altenheim an der Rosenstraße.«
    Der Fahrer nickte, gab das Ziel ein und sandte die Daten an die Zentrale.
    »Altenheim?«
    »Meine Mutter, es geht ihr schlecht. Vermutlich wird sie den Tag nicht überleben.«
    Ciara nahm Mikes Hand in ihre rechte und streichelte zärtlich mit der linken darüber.
    »Manche Dinge lassen sich heraufbeschwören«, flüsterte Mike.
    Eine viertel Stunde später hielt das Taxi. Ohne ein weiteres Wort der Erklärung zog Mike seine Hand aus Ciaras und öffnete die Tür.
    »Darf ich mitgehen?«
    Mike nickte und griff nach den Taschen.
    So wie die anderen Häuser, die wie Blöcke aneinandergereiht standen, benötigte auch das Haus des Heimes in der Rosenstraße einen frischen Anstrich. An zahlreichen Stellen blätterte der graue Putz ab, die Farbe der alten, ehemals weißen Holzfenster war brüchig und teilweise gelb. Sie eilten auf den Eingang zu und klingelten. Ein älterer Mann, möglicherweise ein Heimbewohner, ließ sie herein.
    »Mike, mein Junge! Deine Mutter liegt auf ihrem Zimmer. Wenn du mich brauchst …« Der Mann umarmte Mike, als sei er tatsächlich sein Sohn.
    Im Inneren des Gebäudes roch es nach geröstetem Kaffee und frisch gebackenen Plätzchen. Auf dem sauberen, braun gekachelten Boden lagen schwere Teppiche, die ihre Tritte dämpften. Vor den Fenstern hingen bodenlange, weiße, zu den Seiten mit einem geblümten Band geraffte Gardinen.
    Ciara folgte Mike eine breite Treppe hinauf, die der nachträglich montierte Ein-Personen-Fahrstuhl schmälerte. Auf dem ersten Flur wandte sich Mike nach rechts und blieb vor der zweiten geschlossenen Tür stehen. Die Taschen stellte er dort ab, hob die Hand, legte sie auf die Klinke, traute sich aber nicht, diese hinunterzudrücken. Ciara legte ihre Hand über seine und öffnete die Tür. Gemeinsam traten sie in den abgedunkelten Raum. Am Ende des Zimmers führte eine Tür ins Bad, daneben stand ein alter, dunkelbraun gebeizter Kleiderschrank, rechts, gleich neben der Eingangstür, das Bett.
    Eine alte Frau lag darauf, ihre Augen waren geschlossen, sie atmete flach. Die Ähnlichkeit zu Mike zeigte sich nicht nur in den trotz des Alters langen schwarzen Haaren, die von wenigen grauen Strähnen durchsetzt waren, auch die markanten Gesichtszüge bewiesen eindeutig vererbte Gene. Jetzt schaute Mikes Mutter auf, ein Lächeln huschte über ihre trockenen Lippen. Sie murmelte etwas. Mike ließ Ciara los, setzte sich auf das Bett und legte seine Hand auf die seiner Mutter. Ihre Haut glich einem alten, schrumpeligen, gelben Apfel. Der ausgemergelte Körper zeichnete sich kaum unter der dünnen Decke ab. Mike reichte seiner Mutter eine Tasse mit einem Strohhalm darin, die auf dem Nachttisch stand. Sie versuchte, den erkalteten Tee durch den Strohhalm zu saugen, aber ihre Kraft reichte nicht mehr.
    »Sie ist schön«, hauchte Mikes Mutter und wies mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken auf Ciara, die sich daraufhin vor das Bett kniete und die alte Frau liebevoll anlächelte. Für Worte blieb keine Zeit. Mit einer runzeligen Hand tätschelte Mikes Mutter Ciaras weiche Wange. »Auf dich hab ich gewartet, mein Kind. Jetzt kann ich gehen.« Ihre Hand rutschte schlapp auf das Bettlaken zurück. »Pass auf ihn auf. Versprich es mir!«
    »Natürlich!« Fasziniert entdeckte Ciara in den Pupillen der alten Frau eine Spiegelung der Nebelschleier, die sich schon bald wie ein Vorhang teilen würden und durch welche die alte Frau ins Land der Toten hinüberwechseln sollte.
    »Halt sie fest. Sie ist was Besonderes«, hauchte sie ihrem Sohn zu, dann schlossen sich die trüben Augen der Frau, die einst eine Schönheit gewesen sein musste. Mike ergriff die Hand seiner Mutter, als wolle er sie ins Leben zurückziehen.
    Die Zeit verrann, während sie schweigend beobachteten, wie sich der Brustkorb ein letztes Mal bewegte, die Wärme aus dem altersschwachen Körper vollständig wich und die Temperatur im Raum zu sinken schien. Zögerlich gab Mike die Hand seiner Mutter frei, Tränen rannen an seinen Wangen hinab. Für Sekunden betrachtete er das friedliche Gesicht seiner Mutter, bevor er es mit

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