Ciara
dem Laken verhüllte, das ihren Körper bedeckte. Ciara wusste um die erdrückende Starre, die sich nun über seinen Körper legte und das Aufstehen zu einer unerfüllbaren Aufgabe werden ließ. Darum erhob sie sich, zog ihn an sich und tröstete ihn. Sie selbst weinte dabei um ihre Mutter.
Mike trat erst einen Schritt von Ciara weg, als es an der Tür klopfte. Ohne Ciara anzusehen, nahm er die Brille ab, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und schob das Brillengestell auf die Nasenwurzel zurück. Rasch strich er über seine Haare und richtete seine Aufmerksamkeit stattdessen auf den älteren Mann, der ihnen die Haustür geöffnet hatte und auf Mikes »Herein!« nun ins Zimmer kam.
»Bernhard – sie hat hier eine schöne Zeit verlebt.« Mike ging auf den Mann zu und reichte ihm die Hand, doch dieser zog Mike an sich, drückte ihn und klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken.
»Wie kann ich dir jetzt helfen?« Bernhard lockerte die Umarmung und schaute Mike an.
»Ich muss den Bestattungsunternehmer anrufen.«
»Das erledige ich. Möchtet ihr noch alleine sein?« Bernhard blickte auf das Laken, unter dem der Leichnam ruhte. Ciara spürte die Ruhe, die von dem alten Mann ausging. Der Tod schien ihm so bekannt zu sein, dass er seinen Schrecken verloren hatte.
»Wenn du es möchtest, nehmen wir uns die Zeit, Mike.« Ohne auf ihren Vorschlag einzugehen, antwortete er Bernhard: »Ich möchte ein paar Sachen von ihr einpacken. Die Möbel könnt ihr behalten.«
»Natürlich. Du findest mich unten.« Er schloss die Tür hinter sich und ließ Ciara und Mike mit ihrer Trauer zurück.
»Möchtest du allein sein?«
Kopfschüttelnd verneinte er, holte aus dem oberen Fach des Kleiderschrankes einen Koffer heraus und legte ihn geöffnet auf den Boden. Während er Bücher und andere persönliche Gegenstände einpackte, liefen ihm wieder Tränen über die Wange. »Du musst das nicht heute erledigen, Mike.« Ciara trat hinter ihn.
Er schaute zu Boden, trocknete mit einem Ärmel sein nasses Gesicht und sagte: »Ich habe mich seit Jahren auf diesen Moment vorbereitet. – Ich möchte ein paar Sachen mit nach Hause …« Er stockte kurz und korrigierte sich: »Irgendwohin mitnehmen.«
»Wir können alles zu mir bringen«, bot Ciara an.
Zielsicher griff Mike hinter einen Stapel Pullover und zog eine Schmuckschatulle hervor. Das braune Leder wies Wasserflecke auf, und das goldene verschnörkelte Schloss rostete leicht. Behutsam öffnete er die Schatulle.
»Von deiner Uroma«, hauchte Ciara neben ihm. Mikes Mutter hatte nie viel Schmuck besessen, und so bewahrte sie darin ihren Ehering auf, der ihren knöchrig gewordenen Fingern zu weit geworden war, ein paar Ohrclips mit künstlichen Perlen und ein goldenes Medaillon, auf dessen Deckel drei ineinander verschlungene eingravierte Buchstaben zu erkennen waren. »Von deinem Dad, bevor er verschwand«, flüsterte Ciara mehr zu sich selbst. Wie nur konnte sie das wissen? Sie war nicht in Mikes Gedanken eingedrungen.
»Ja«, bestätigte Mike und schaute Ciara fragend an.
Ihre Worte und Gedanken und das damit verbundene Wissen ängstigten sie selbst. Zaghaft schüttelte sie den Kopf, dann heftiger, als würden die Erinnerungen, die sie nicht haben durfte, davon verschwinden. »Ich weiß nicht, woher – ich –«
Mikes Hand zitterte, als er die Schatulle zuklappte und in den Koffer zu den anderen Sachen legte. Ohne auf Ciaras Erklärungsversuche einzugehen, schob er sie zur Seite und verschwand im Bad. Nach Minuten, die Ciara wie Stunden vorkamen, kehrte er zurück. Wassertropfen hingen in seinem Haaransatz, die Gesichtshaut glänzte feucht. Nachdem er ein letztes Buch, die Armbanduhr, den Wecker und ein unbenutztes Spitzentaschentuch, das er aus der Kommode neben dem Bett nahm, in den Koffer gepackt hatte, klappte er diesen zu.
Gemeinsam kehrten sie auf den Korridor und in den Alltag zurück. Am unteren Ende der Treppe wartete Bernhard und führte sie in einen Aufenthaltsraum, der mit hellen Gardinen an den alten Fenstern, zahlreichen Blumen und der gemütlichen Couch auf der einen Seite des Zimmers unter anderen Umständen einladend gewirkt hätte. An der Wand gegenüber stand ein langer, schmaler Tisch mit sechzehn leicht abgenutzten Eichenstühlen. Auf einem davon saß wartend ein schwarz gekleideter Mann, der sich bei ihrem Eintreten erhob, sich als der Bestatter vorstellte und ihnen mit einstudiert ernster Miene sein Beileid aussprach.
Nachdem sie alle
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