Cigams Sündenfall
frech, aber Suko reagierte gelassen oder gar nicht.
»Du kannst verschwinden!« erklärte ich kalt.
Der Mafioso wußte nicht, wie er reagieren sollte. Er hockte noch auf der kühlen Erde, den Rücken gegen den alten Grabstein gepreßt, er schaute sich um, doch aus seiner Perspektive konnte er nichts Erhebendes erkennen, nur düstere Schatten, die wie blaue Tücher zwischen den Grabsteinen lagen und wie erstarrt wirkten.
Für ihn war das Labyrinth auf dem Friedhof noch schlimmer als für andere, aber er wollte nicht dort gefangen sein. Das machte uns seine folgende Bewegung klar.
Costello streckte seinen rechten Arm aus und stützte sich mit der Hand ab. Er bekam genügend Schwung, um sich in die Höhe zu stemmen. Es ging langsam, sehr langsam, er mußte einige Male innehalten, quälte sich dann wieder hoch, stand endlich auf den eigenen Beinen, streckte den Arm aus und hielt sich an der Kante der Grabplatte fest. So blieb er stehen. »Schaffen Sie es?«
Sein Gesicht verzog sich in der unteren Hälfte. »Allein, um dir einen auszuwischen, Sinclair, werde ich es schaffen. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Dann verschwinden Sie!«
Er ging den ersten Schritt, den zweiten. Er sackte dabei zusammen. Der Kreislauf spielte noch nicht so mit, wie er es sich gern gewünscht hätte.
Beim dritten Schritt mußte er sich an einem anderen Grabstein festhalten, und plötzlich hielt er sich dicht neben der Kommissarin auf. Er hob den Kopf. Milena trat zurück.
Costello grinste. »Du brauchst vor mir keine Angst mehr zu haben, Süße, du nicht.«
»Na und?«
»Prag ist für mich gestorben.«
Mit diesen Worten nahm er Abschied. Uns gönnte er keinen Blick, und irgendwo ärgerte ich mich, als ich ihn weggehen sah. Ich hätte ihn gern in Handschellen zurück nach London gebracht, doch dazu hätte ich Beweise finden müssen, und die gab es gegen ihn leider nicht. Nicht hier in Prag und auch nicht in London. Costello hatte es immer verstanden, sich im Hintergrund zu halten und andere für sich arbeiten zu lassen.
Er ging schwankend und konnte froh sein, die Grabsteine in der Nähe zu wissen, denn sie dienten ihm nach jedem zweiten Schritt als Stütze.
Über uns bewegten sich die frischen Blätter der Kastanie im Wind, als wollten sie Costello verabschieden. »Ob er es schafft?« fragte Suko.
»Nein.«
»Warum hast du ihn dann laufenlassen?«
»Er war für uns ein Köder. Jetzt soll er das gleiche für die anderen sein. Mal schauen, wie es läuft.«
»Da komme ich nicht ganz mit.«
»Ich auch nicht«, erklärte Milena.
»Ist ganz einfach«, sagte ich und schaute der in der Dunkelheit verschwindenden Gestalt nach. »Altea und Cigam werden den Friedhof unter Kontrolle halten. Sie werden ihn sehen, und wenn dies geschehen ist, werden sie aus ihren Verstecken kommen.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
»Was machen sie mit Costello?« Ich hob die Schultern.
Unser Gespräch versickerte. Jeder hing seinen Gedanken nach. Zum erstenmal fiel mir die Stille auf diesem Gelände auf, denn es war so gut wie kein Laut zu hören. Obwohl in der Nähe des Friedhofs eine Straße entlanglief, drangen die Geräusche des Verkehrs kaum zu uns.
Hin und wieder hörten wir mal das Knattern eines Motors, ansonsten lag die Glocke des Schweigens über dem Gräberfeld.
Es war genau die Stille, die mir nicht gefiel. Ich sah sie als lauernd oder abwartend an. Es war damit zu rechnen, daß sie jeden Augenblick zerreißen würde, das trat nicht ein, und auch von Costello hörten wir nichts.
»Ob er es geschafft hat?« hauchte Milena.
Ich hob die Schultern. »Zuzutrauen wäre es ihm schon«, murmelte ich und ging ein paar Schritte vor. Neben drei sehr dicht zusammenstehenden Grabsteinen blieb ich stehen. Sie sahen aus, als hätte man ein Buch aufgeblättert, wobei die zusammenklebenden Seiten während des Blätterns zur Ruhe gekommen waren.
Die Zeit dehnte sich. Dort, wo die Straße herlief, gellte ein helles Lachen auf. Dann hörten wir Schritte, spannten uns, aber die Geräusche verstummten.
Die Spannung steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Suko und ich blieben nie stehen, wir schauten uns immer wieder um, ob etwas Verdächtiges zu sehen war, aber das Schweigen blieb.
Nur hin und wieder raschelten die Blätter, wenn der Wind sie bewegte und mit ihnen spielte.
Ich spürte den Druck, aber ich blieb äußerlich gelassen. Nicht so Milena, sie wußte nicht, wie sie sich hinstellen sollte. Immer wieder bewegte sie sich im Kreis, schaute sich den
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