Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
Tommy herab.
»Das ist aber ein wirklich schönes Haus.«
Dabei strich sie sanft, fast mütterlich über seinen Kopf.
Tommy reagierte wider Erwarten mit einem Schweigen und malte weiter.
»Ein lieber Junge und ein richtiger kleiner Künstler.«
Cinderella blickte Tommy an und lächelte.
Ein lieber Junge? Eher ein kleiner Schauspieler.
»Ja, er ist ein wahrer Engel.«
Ich hoffe, Gott verzeiht mir den Vergleich.
»Auch auf die Gefahr hin, dass es Ärger geben wird, füllen Sie bitte den Personalbogen aus.«
Cinderella schob ihre Tasse beiseite und griff nach der Mappe.
»Bedeutet das, ich habe den Job?«
»Ja! Aber freuen Sie sich nur nicht zu früh. Es wird Ihnen in der Probezeit viel abverlangt werden. Und das letzte Wort hat immer noch Herr Wegener, der Chef des Hauses.«
Rasch füllte Cinderella alle notwendigen Zeilen aus. Ihr Herz pochte im Tango-Rhythmus und bescherte ihr ein eigenartiges Kribbeln im Bauch. Die erste Hürde war geschafft, der Weg frei für einen Neubeginn. Sie fühlte sich wunderbar, so wie lange nicht mehr.
»Übrigens, ich bin Gabriele Meinert, die Frau, die sich gerade weit aus dem Boot gelehnt hat. Also bitte, lassen Sie mich nicht über Bord gehen und ersaufen.« Dabei lachte sie.
Cinderella drückte ihr fest die Hand. »Danke! Ich werde Sie nicht enttäuschen.«
»Das beruhigt mich. So, und nun werde ich in meinen wohlverdienten Feierabend starten.« Gabriele Meinert schwang sich ihre Tasche um die Schultern und schloss die Aktenschränke. »Ihre Schicht beginnt sieben Uhr im Servicezimmer 022. Und der hauseigene Kindergarten ist täglich ab sechs geöffnet. Ich werde Frau Michelson gleich noch über den künstlerisch begabten Neuzugang informieren sowie Herrn Rüdiger vom Empfang. Er wird Ihnen die Schlüssel für das Personalzimmer 003 aushändigen.«
Cinderella erhob sich und blickte zu Tommy, der immer noch seltsam still am Tisch saß und malte.
»Komm, Tommy.«
Ohne Widerworte stand er auf und lief zur Tür.
»Jetzt gehen wir ins Restaurant und bestellen uns etwas richtig Gutes«, versuchte Cinderella ihn aufzumuntern. Er musterte sie jedoch nur aus dem Augenwinkel und nickte.
Kein »O ja, Krabbenburger mit Pommes«?
Sorge stieg in Cinderella auf. Was war mit ihm? Er würde doch nicht etwa krank werden? Sie verdrängte jedoch diesen Gedanken rasch wieder. Wahrscheinlich hatte er nur Heimweh, vermisste Mike und seine Spielplatzfreunde. Nichts, was die Zukunft ins Wanken bringen würde.
»Einen schönen Tag noch und nicht verschlafen morgen früh«, erklärte Gabriele Meinert, bevor sie den Flur mit schnellen Schritten durchlief. Das Klickklack ihrer Absätze hallte angenehm nach.
Zukunft ahoi
Cinderella zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe, als sie den sonnenlichtdurchfluteten Wohnraum des Zimmers 003 betrat. An der Wand über dem Sofa hing ein großes Bild im impressionistischen Stil, mit Muscheln, die hübsch angeordnet am Sandstrand lagen.
Perfekt! Einfach perfekt,
dachte sie, ging zum Fenster und öffnete es.
»Hörst du es, Tommy? Das Meer.«
Er schlurfte mit gesenktem Kopf heran und stellte sich neben sie.
»Ich mag es nicht.«
Cinderella blickte ihn erstaunt an.
»Was magst du nicht?«
»Na, das doofe Meer da draußen.«
»Aber wieso? Du hast dich doch so darauf gefreut.«
Er schüttelte seinen Kopf und verschränkte die Arme. »Jetzt mag ich es aber nicht mehr!«
Ein wenig angesteckt von seiner Traurigkeit, schloss sie das Fenster und zog die Gardine davor. Dann nahm sie ihn bei der Hand und zerrte ihn zur Tür.
»Komm, wir gehen spazieren.«
Der Strand lag nur wenige Schritte entfernt. Cinderella atmete tief ein und ließ das Panorama der Insel auf sich wirken. Die Sonne stand knapp über dem endlos weiten Meer, in dessen Wellen sich die Abendröte spiegelte. Sie blieb stehen und zeigte auf einen Heißluftballon, der lautlos hoch oben am Himmel schwebte.
»Schau mal.«
Tommy ignorierte die Aufforderung und spielte mit einem Stock im Sand herum.
Sie setzte sich neben ihn. »He, kleiner Mann, was ist los?«
Er zuckte mit den Schultern und drehte sich weg.
»Hast du etwa Heimweh?«
Tommy zuckte erneut mit den Schultern und schluchzte. »Ich will mein Zimmer zurück und den Spielplatz mit der kaputten Schaukel.«
Er will zurück? Zurück in die Plattenbauwüste, wo niemand seine Nachbarn kennt?
Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte, und es machte ihr Angst.
»Das hier ist doch viel schöner als die Häuser aus
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