Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt

Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt

Titel: Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Bieling
Vom Netzwerk:
Gerstenberger – eine sprachliche Verwechslung, die Cinderella lange nachhing und den Status als Klassensprecherin gekostet hatte.
    Inge Lohmann räusperte sich. »Ich würde vorschlagen, Sie schlüpfen geschwind in die herausgelegte Uniform von Frau Dragewski. Derweil besorge ich eine aktuelle Zeitung für Herrn Woller.«
    Der ältere Herr blickte immer noch skeptisch, nickte aber.
    Cinderella hielt den Rock ihrer Vorgängerin in die Höhe. Es erschien ihr unmöglich, in dieses Teil zu schlüpfen, geschweige es eine ganze Schicht lang zu tragen. Wie sollte sie auch? Tamara Dragewski war eine überaus gut beleibte Frau – eine, die gewiss ihren Mann über die Schwelle getragen hatte. Aus der Stoffmenge dieses Rockes hätte Cinderellas Stiefmutter locker fünf knappe Minis für karrierebewusste Geschäftsfrauen geschneidert. Aber ohne dieses Outfit konnte sie auf keinen Fall vor Inge Lohmann treten. Wahrscheinlich wartete die nur auf eine weitere Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen. Und bis sie eigene Arbeitssachen in passender Größe bekommen würde, musste es irgendwie gehen
.
Aber wie? Cinderella schaute sich hilfesuchend um. Eventuell mit einer Klammer? Kurz entschlossen überraffte sie den unnötigen Stoff und befestigte eine handelsübliche Wäscheklammer am Bund. Zum Glückwar die Weste ebenso üppig und hing schlabbernd über dem Rock.
    Schließlich trat Cinderella auf den Flur und rang sich ein Lächeln ab.
    Inge Lohmann stand zwei Türen weiter und wartete. Ihr Blick verhieß nichts Gutes.
    »Ich wäre dann so weit. Wo soll ich anfangen?«
    »Wir beginnen im Zimmer 113 mit einer Endreinigung.«
    Cinderella folgte wortlos zum Aufzug. Der Personalrock von Inge Lohmann wackelte taktvoll hin und her, während sich die Adern aus ihren Waden pressten. Die Biosandalen gaben bei jedem Schritt einen qualvollen Ton von sich. Fast so, als würde man einer Maus auf den Schwanz treten. Dingdong, kündigte sich der Fahrstuhl an. Inge Lohmann schob den Wagen hinein und drückte auf einen der Knöpfe.
    »Wenn Gäste im Aufzug sind, wird immer gewartet«, sagte sie, ohne den Hotelboy, der sich in die äußerste Ecke des Liftes drückte, eines Blickes zu würdigen. Verunsichert nickte er Cinderella zu und blickte auf die Anzeige. Das erneute Dingdong ließ ihn aufatmen. Ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht, als sich Frau Lohmann herabbeugte, um ein heruntergefallenes Handtuch aufzunehmen. Dabei blockierte sie mit ihrem Hinterteil die Aufzugstür, die mit einem Klingkling zurückfuhr. Auch Cinderella musste ein Kichern unterdrücken und lächelte stumm dem sympathischen Rotschopf zu.
    »Fräulein Preußer, würden Sie bitte die Zimmertür öffnen?«
    Cinderella griff nach dem Schlüssel, den Inge Lohmann ihr entgegenhielt. Aber noch ehe sie ihn im Schloss umdrehen konnte, wurde ihr Vorhaben unsanft abgebrochen.
    »Stopp! Sie können doch nicht einfach so ins Zimmer stürmen.«
    »Kann ich nicht?«
    »Nein!«
    »Aber Sie sagten doch …«
    »Ich sagte nur, dass Sie die Zimmertür öffnen sollten.«
    »Ja, aber das wollte ich doch gerade.«
    »Sie vergaßen jedoch eine winzige Kleinigkeit, die von allergrößter Bedeutung ist.«
    »Ach ja? Und welche?«
    »Vorher den Zimmerservice anzukündigen.«
    Inge Lohmann schob sich eine herunterhängende Haarsträhne hinter das Ohr und wandte mit einem Ruck den Kopf. »Gehen Sie beiseite. Ich zeige es Ihnen.« Sie schob den Schlüssel erneut ins Schloss, klopfte an und rief: »Zimmerservice.« Einige Sekunden der Stille folgten. Dann öffnete Inge Lohmann die Tür.
    »Haben Sie verstanden?«
    Cinderella nickte.
    Was denkt Sie? Dass ich auf der Sonderschule für global verdrängte Märchenfiguren war und meinen Abschluss im Erbsenzählen gemacht habe?
    »Es ist wichtig, sich dem eventuell noch im Zimmer befindenden Gast anzukündigen. Schließlich wollen wir niemanden in eine prekäre Lage bringen.«
    »Verstehe.«
    »In diesem Fall jedoch sind die Gäste schon letzte Nacht abgereist.«
    Inge Lohmann stürmte zum Fenster, zog die Vorhänge auf und öffnete es. Das Lachen von Kindern drang hinein.
    »Wie alt ist er denn?«
    Cinderella verstand nicht. »Wer?«
    »Ihr Sohn.«
    »Er ist vor zwei Wochen fünf geworden.«
    »Ah ja, ein kleiner Krebs sozusagen.«
    Cinderella schmunzelte. »Eher ein kleiner Krabbenmann.«
    »Wieso Krabbenmann? – Ach nein, für Geschichten haben wir keine Zeit. Wir müssen diese Suite fertig bekommen und einundzwanzig weitere Zimmer bestücken.

Weitere Kostenlose Bücher