Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
den Mund und lief zum Tisch. Die beiden Männer verstummten. Mit so einer Antwort hatten sie nicht gerechnet.
»Wünsche einen guten Hunger zu haben«, hallte es in einem Befehlston durch das Restaurant. Schwere Schritte folgten.
»Sie sollten dem Burschen lieber ordentlich Schweinebauch auf die Brötchen packen. Dieses Fruchtzeug blockiert das Gehirn und schwächt das Muskelwachstum.«
Cinderella, die soeben eine große Portion Aprikosenkonfitüre auf eines der Brötchenhälften strich, blickte auf. Ein älterer grauhaariger Mann im Trainingsanzug starrte sie an.
»Und Krabben?«, fragte Tommy.
Der streng wirkende Herr überlegte und rieb sich sein ausgeprägtes Kinn.
»Krabben sind akzeptabel. Ich empfehle Nordseekrabben, mein Junge. Haben viel Eiweiß und Jod. Sehr gut für das körperliche Wohlbefinden.«
Auf Tommys Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. »Siehste, Mama.«
Cinderella vergrub ihre Zähne in einer fruchtbeschmierten Semmelhälfte.
»Also mir schmeckt es. Trotzdem danke für ihren gutgemeinten Hinweis.«
»Nichts zu danken. Im Übrigen, mein Name ist Schulze. Major im Ruhestand, aber kein bisschen eingerostet.« Dabei schlug er seine Hacken aneinander.
»Angenehm, Preußer.«
Er zwinkerte Tommy zu, wünschte einen guten Tag und eilte zur Theke.
»Neun Euro und neunzig Cent?«
Die Buffetkellnerin nickte. Cinderella zückte resigniert ihre Geldbörse. Kampflos jedoch wollte sie keinen Zehner rausrücken.
»Aber wir hatten doch nur zwei Brötchen, einen Saft und ein Ei.«
»Tut mir leid. Das Frühstück wird hier immer im Komplettpreis pro Person berechnet. Kinder allerdings zwei Euro günstiger.«
»Auch fürs Personal?«
»Nein. Angestellte zahlen eine Pauschale. Gehören Sie zum Personal?«
»Ja, irgendwie schon. Mein erster Arbeitstag, wenn Sie verstehen.«
»Dann haben Sie sicherlich noch keine Rabattmarken, nicht wahr?«
»Nein.«
»Ich schlage vor, Sie schreiben mir Ihren Namen inklusive Tätigkeit auf diesen Zettel und reichen die Marke für das Frühstück nach.«
Während Cinderella alles aufschrieb, nörgelte Major Schulze über die Leberwurst. »Was zum Teufel ist da drin?«
Die adrette Bedienung holte tief Luft und setzte ein übertriebenes Lächeln auf. »Was meinen Sie?«
»Na, dieses Grünzeugs da.«
»Das ist Bärlauch, Herr Schulze. Sehr gesund übrigens.«
»Papperlapapp. Kräuter gehören in Fischsoße, aber nicht in Leberwurst.«
»Versuchen Sie die Scheibenmettwurst. Die ist frei von Gemüse und Kräutern.«
»Was? Mettwurst in Scheiben? Wer macht denn sowas?«
Cinderella stand auf und kicherte. »Danke nochmals und gute Nerven noch.«
Achtung, Zimmerservice!
Nachdem Cinderella ihren Sohn mit einiger Überredung davon überzeugen konnte, im hoteleigenen Kindergarten zu bleiben, eilte sie den Gang zum Servicezimmer entlang. Sie war spät dran und hoffte auf das Verständnis ihrer neuen Vorgesetzten, die Inge Lohmann hieß, wie Cinderella wusste. Frohen Mutes steuerte sie auf die Tür mit der Nummer 022 zu – dem Zimmermädchen-Servicezimmer. Gerade als sie überlegte, ob sie klopfen sollte oder nicht, riss Inge Lohmann die Tür auf und stürmte samt Wagen auf den Flur. Dabei stieß sie gegen Cinderella, die durch die Wucht unfreiwillig in einem der gegenüberliegenden Gästezimmer landete.
»Sie bringen bestimmt die Tageszeitung«, empfing sie ein älterer Herr, der soeben hinaustreten wollte. Sein Gehstock war ihm vom unerwarteten Besuch aus der Hand gerissen worden.
»Nein, ich bin das neue Zimmermädchen«, stotterte Cinderella. Sie beugte sich herab und nahm die hölzerne Laufhilfe vom Boden auf. »Verzeihen Sie bitte. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte.«
Der erschrocken dreinblickende Urlauber griff nach seinem Gehstock. »Danke, junge Frau.«
Inge Lohmann, der die ganze Sache ebenfalls unangenehm war, trat näher. »Dann sind Sie gewiss Fräulein Preußer, die sich eigentlich exakt um sieben Uhr bei mir einfinden sollte.«
»Tut mir leid, aber ich musste meinen Sohn noch …«
»Die Gründe für Ihre Verspätung interessieren mich nicht. Die können Sie gerne Herrn Wegener erläutern, falls er Sie nicht sofort wieder herauswerfen wird.«
Cinderella senkte ihren Blick. Die strammen Waden und der herrschende Ton des Vorzimmermädchens erinnerten sie an ihre ehemalige Schuldirektorin, Frau Gerstenberger. Sie musste schmunzeln bei diesen Gedanken. Seit ihrem Versprecher beim Schulappell nannte sie jeder nur noch Diktatorin
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