Cinderella undercover
Schwanzflosse erinnerte. Durchsichtige Pailletten, die das Licht reflektierten, unterstrichen diesen Eindruck. »Zu so einem romantischen Look gehören natürlich eher schlichte Schuhe«, erklärte er und schon trug ich links einen hellgrauen, mittelhohen Pump.
»Und jetzt kommt, tataaaa, tataaaa, die Krönung des Ganzen – dein Kleid für Sonntag«, rief GG und umtänzelte mich aufgeregt. »Nun sag schon, wie findest du es?«
Ich war fassungslos, als ich einen Traum aus goldenem Organza, Seide und Samt in den Händen hielt. Darin würde ich zweifelsohne aussehen wie eine Prinzessin! Ich befühlte den Stoff und traute meinen Augen kaum, als sich herausstellte, dass das, was ich auf den ersten Blick für ein simples Muster im unteren Drittel des Kleids gehalten hatte, in Wirklichkeit mein Street-Art-badge war – der rote Stern mit den pinkfarbenen Engelsflügeln in Miniaturformat. »Dazu passend mein persönliches Meisterwerk«, kündigte Leopold seine Schuhkreation großspurig an – vollkommen zu Recht: zierliche, wunderschöne Stilettos aus Plexiglas mit schwindelerregend hohen Absätzen, in die goldene Sterne eingegossen waren.
»Das mit dem Gehen, das üben wir noch, Liebchen, keine Sorge«, lachte GG, als er meinen entsetzten Blick sah. Schließlich war ich sonst auf eher flachen Modellen unterwegs.
Ich war dermaßen überwältigt, dass ich Mühe hatte, die passenden Worte zu finden. »Wie kann ich das jemals wiedergutmachen?«, fragte ich, während Tränen der Rührung meine Wangen hinunterkullerten. »Daran müsst ihr ja wochenlang gearbeitet haben…« Leopold und GG wechselten bedeutungsvolle Blicke. »Ein paar Tage hat’s schon gedauert, aber mach dir darüber mal keinen Kopf, denn es hat wirklich Spaß gemacht«, erwiderte Leopold und GG nickte.
»Erwähn einfach unsere Namen, wenn du auf dem roten Teppich auf und ab flanierst, und wir sind die glücklichsten Designer der Welt!«
Roter Teppich?
Hatte ich da was übersehen?
»Ich werde jedem, der es nicht wissen will, eure Namen sagen und Werbung machen, bis ganz Deutschland weiß, wer ihr seid«, versprach ich und überlegte gleichzeitig fieberhaft, wie ich den beiden darüber hinaus eine Freude machen konnte.
»Los jetzt, genug geschwärmt. Jetzt machen wir Catwalk-Training. Aber wisch dir vorher bitte die Mascara aus dem Gesicht, das sieht ja fürchterlich aus«, unterbrach GG mich und rollte Packpapier auf dem Atelierboden aus. Ich trocknete die Freudentränen und stellte mich schließlich mit wackligen Knien auf meine Startposition. Blöderweise war mein Gleichgewichtssinn noch nie der beste gewesen und jetzt war ich auch noch mit einem Schlag fünfzehn Zentimeter größer als sonst.
GG positionierte sich am anderen Ende des »Teppichs« und gab Kommandos: »Brust raus, Schultern zurück, Kinn hoch und ab geht’s. Sei eine Diva!« Ich versuchte, seinen Anweisungen zu folgen, und setzte mich in Bewegung. Dummerweise verhedderte sich der bodenlange Stoff schon nach wenigen Zentimetern in meinem linken Schuh. »Macht nichts, das passiert jedem am Anfang. Tu so, als sei nichts passiert«, kommandierte GG. »Geh einfach geradeaus und schau mich an. Ich bin dein Fixpunkt, auf den du zugehst – alles andere muss dir egal sein.«
Leopold murmelte, dass noch etwas fehlte, und drückte mir eine mit goldenen Pailletten besetzte Clutch in die Hand, ein megaunpraktisches Teil ohne Henkel. Er lachte, als er sah, wie ich mit dem Ding haderte. »Trag sie einfach, als sei sie ein Teil deines Körpers, und denk dran: Die Handetasche musse og lebendig sein.« Dann gab er mir einen sanften Klaps auf den Po und ging neben mir her – vermutlich, um mich aufzufangen, falls ich umknickte.
»Lass diesen Top-Model-Mist, Leo, das ist doch total out, außerdem haben die Mädels jetzt JORGE«, schimpfte GG vom anderen Ende und ich bekam einen Lachkrampf. Der Handtaschen-Satz von Laufstegtrainer Bruce Darnell war mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass ihn mal jemand zu mir sagen würde. Genauso wenig, wie ich jemals geglaubt hätte, einmal echte Haute Couture zu tragen und zu einem dreitägigen Event der Extraklasse eingeladen zu sein.
Jemand wie Felicia würde das hier natürlich unfallfrei und total professionell meistern und später auf allen Fotos perfekt aussehen. Oh mein Gott, ich durfte gar nicht daran denken, in welchen Outfits sie an den kommenden drei Abenden auf dem Festival auftauchen würde.
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