Cinderellas letztes Date
wir euch vertrauen. Jedes unserer Kinder hat eine Kreditkarte, die wir finanzieren. Das soll auch so bleiben – zumindest bei euch beiden. Damit ihr euch nicht von uns kontrolliert fühlt, sind die Karten auf eure Namen ausgestellt, und ihr erhaltet die Bankauszüge. Bei Clarissa ist das nicht anders. Aber anscheinend hat sie vergessen, ihrer Bank mitzuteilen, dass sie seit diesem Semester im Studentenwohnheim wohnt. Jedenfalls wurden ihre Auszüge an ihre alte Adresse geschickt, also zu uns. Beim Öffnen der Post habe nicht auf den Namen in der Anschrift geachtet, sondern den an sie gerichteten Umschlag aufgerissen.“
„Und dann kam die böse Überraschung.“ Mister Cartwright stach mit seiner Gabel in den nahezu unberührten Kuchen auf seinem Teller, ohne das abgebrochene Stückchen zu essen.
Am Tisch herrschte betretenes Schweigen. Nicht, dass Clarissas Verschwendungssucht die Cartwrights in den Bankrott stürzte. Der Vater arbeitete als oberster Richter am Kammergericht von New Jersey. Und die Mutter war eine über die Staatsgrenzen hinaus bekannte Innenarchitektin. Geld besaß die Familie mehr als genug. Die schlechte Laune der Eltern rührte vielmehr von Clarissas Vertrauensbruch her. Und dass sie nicht verriet, wofür sie das Geld ausgegeben hatte, machte die Sache nur noch schlimmer.
„Jedenfalls kann Clarissa so viel schmollen, wie sie will, und unserem Familiensonntag fernbleiben. Ich habe ihr die Kreditkarte abgenommen, und sie bekommt sie nicht wieder, sondern erhält wie ein Teenager Taschengeld. Und ab nächsten Monat wohnt sie wieder hier zu Hause“, erklärte der Vater.
„Dad, ich muss dir was gestehen“, begann Brad. „Clarissa hat Chelsea und mich heute Morgen um halb acht angerufen und gefragt, ob sie bei uns wohnen kann. Sie meinte, sie hätte Ärger mit euch und soll zurückziehen. Mehr hat sie nicht erzählt. Aber ich habe ihr gesagt, dass sie nicht bei uns einziehen kann und du und Mom gewiss triftige Gründe für eure Entscheidung habt.“
„Mich hat sie auch angerufen“, gab Ruby zu und fügte leise hinzu: „Ich hab ihr allerdings angeboten, bei mir zu wohnen.“
„Typisch Clarissa. Sie wählt den Weg des geringsten Widerstands.“ Brad sah Ruby tadelnd an. „Du bist ihr gegenüber immer zu nachgiebig. Und sie nutzt das aus.“
„Sie ist eben nicht nur meine Schwester, sondern auch meine beste Freundin“, konterte Ruby. „Außerdem nutzt sie mich nicht aus. Sie meinte, sie braucht nur für kurze Zeit eine Übernachtungsmöglichkeit. Dann würde sie zu … hm, keine Ahnung wem ziehen. Jedenfalls würde ihr Umzug euch in Staunen versetzen“, sagte sie an ihre Eltern gewandt.
„Dieses kleine Luder!“ Rubys Dad schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich erkenne Clarissa nicht wieder. Gestern Abend hat sie sich derart frech und schnippisch aufgeführt. So habe ich sie noch nie erlebt. Sie hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen. Und als ich ihr sagte, sie müsse wieder nach Hause ziehen, antwortete sie trotzig: ‚Das lasse ich mir nicht bieten. Ich mache etwas, das euch schockt.‘ Seid ihr sicher, dass ihr nicht wisst, bei wem sie Unterschlupf findet? Hat sie etwa einen Freund, von dem wir nichts wissen?“
Ruby schüttelte den Kopf.
„Mir gegenüber hat sie keine andere Wohnmöglichkeit erwähnt“, sagte Brad. „Und von einem Freund weiß ich auch nichts.“
„Bevor wir uns gegenseitig hochschaukeln, sollten wir noch mal mit ihr reden“, warf Ruby ein. „Dass sie Brad und mich so früh morgens angerufen hat, zeigt, dass sie von eurem Streit aufgewühlt war und sich die ganze Nacht den Kopf zerbrochen hat, was sie als Nächstes machen soll.“
„Mir scheint es eher so, als hätte sie sich einen Schlachtplan zurechtgelegt“, antwortete der Vater ärgerlich.
„Peter, nun übertreibst du aber“, verteidigte die Mutter ihre Tochter. „Clarissa ist bisher immer ein anständiges und liebes Mädchen gewesen. Vielleicht ist sie in schlechte Kreise geraten. Das würde auch ihre Fehlstunden an der Kunstschule erklären.“
„Fehlstunden?“ Ruby horchte auf. Die Kunstschule bedeutete ihrer Schwester die Welt. Niemals würde sie auch nur eine Stunde verpassen.
„Ihr wisst noch nicht alles“, meinte der Vater. „Gestern – kurz bevor eure Mom den Brief von der Bank öffnete – rief Professor Quentin, einer von Clarissas Dozenten, bei uns an. Er erkundigte sich, ob sie krank wäre. Er machte sich offensichtlich Sorgen um eure Schwester, da sie seit Wochen
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