Cinderellas letztes Date
Portemonnaie mit sich. Sie hat mal in der Mensa an der Kasse vor mir gestanden. Als sie bezahlte, habe ich dein Bild gesehen und gefragt, wer du bist. Sie hat sehr von dir geschwärmt. Ihr versteht euch richtig gut, oder?“
„Das dachte ich bisher … Weißt du, ob sie einen Freund hat, bei dem sie schläft?“
„Keine Ahnung.“
„Hat sie Besuch bekommen?“
„Nicht, dass ich wüsste. Ist Clarissa etwas zugestoßen?“
„Nein. Ich muss sie nur dringend sprechen und erreiche sie nicht“, entgegnete Ruby. „Sagst du ihr, dass ich hier war, falls du sie siehst?“
„Mach ich.“ Das Mädchen lächelte und verschwand in seinem Zimmer.
Ruby starrte auf Clarissas verschlossene Tür. Es nervte sie, dass sie ihre Schwester nicht antraf. Sie wollte wissen, was los war. Ratlos wandte sie sich ab und verließ das Haus. Auf der Rückfahrt in ihr Studentenwohnheim kam ein Sturm auf. Regen prasselte herab, und Ruby war froh, als sie ihr Motorrad auf dem hauseigenen Parkplatz abstellte und sich kurz darauf in einem heißen Bad aufwärmen konnte.
„O Mann, das darf nicht wahr sein! Hoffentlich wird das nicht zur Gewohnheit, dass Clarissa mich früh morgens anruft“, murmelte Ruby müde, während sie gähnend unter dem Kopfkissen nach ihrem klingelnden Handy suchte.
Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte sieben Uhr. Sie hätte noch so schön zwei Stunden schlafen können. Ihr erstes Seminar am Montag begann erst um zehn. Nur gut, dass Emma bei einer Freundin schlief. Ihre Mitbewohnerin wäre sonst ausgeflippt.
Als Ruby ihr Handy fand, stellte sie enttäuscht fest, dass Brads Name auf dem Display aufleuchtete. Obwohl sie es hasste, aus dem Tiefschlaf gerissen zu werden, hatte sie sich gefreut, endlich mit ihrer Schwester sprechen zu können.
„Ich hoffe, es ist was Wichtiges, weswegen du mich weckst“, begrüßte sie ihren Bruder.
Er antwortete nicht.
„Wenn das ein Klingelstreich ist, dann kannst du was erleben“, drohte sie ihm. Sie lauschte und hörte gedämpftes Schluchzen. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. „Was ist?“, fragte sie alarmiert.
„Ruby … fahr bitte sofort zu Mom und Dad.“ Die Stimme ihres Bruders klang belegt.
„Warum? Geht’s einem von ihnen schlecht?“
„Nein. Es ist wegen Clarissa.“
Wieder vernahm Ruby im Hintergrund leises Schluchzen. „Weint Chelsea?“
„Ja“, antwortete ihr Bruder einsilbig.
„Mein Gott, nun mach schon den Mund auf! Was ist mit Clarissa? Hatte sie einen Unfall?“
„Sie ist tot.“
„Was?!“ Ruby hörte zwar, was ihr Bruder sagte, aber ihr Verstand weigerte sich, die Bedeutung seiner Worte anzunehmen.
„Sie hat sich umgebracht“, sagte ihr Bruder leise. „Ein Jäger fand ihren leblosen Körper heute Morgen im Lake Fulton. Sie trieb in Ufernähe. Um ihren Hals lag noch die Schnur, mit der sie …“ Seine Stimme brach. Er schluchzte. Es dauerte eine Weile, bis er sich sammelte und murmelte: „Der Ast, an dem sie … ist durch den Sturm letzte Nacht unter ihrem Gewicht abgebrochen und hat sich im Ufergestrüpp verhakt. Deshalb ist sie nicht weggetrieben worden.“
„Wann hat sie …?“, fragte Ruby. Sie saß kerzengerade in ihrem Bett. Sie weinte nicht. Noch nicht. Sie hatte das Gefühl, als griffe eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen und zerdrückte es.
„Letzte Nacht. Der Jäger hat Sheriff Warden an den Fundort gerufen. Und er hat wiederum einen Gerichtsmediziner an den See bestellt. Der Forensiker meinte, sie habe sich zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens aufgehängt.“
„Wo ist sie? Kann ich sie sehen?“
„Sie ist in der Gerichtsmedizin. Ihre Leiche wird noch untersucht. Wir können heute Nachmittag …“
„Hat schon jemand aus unserer Familie sie identifiziert?“, unterbrach ihn Ruby. „Vielleicht ist sie es nicht.“
„Nein. Dad will, dass wir alle zusammen in die Gerichtsmedizin fahren. Aber sie ist es. Sheriff Warden hat sie eindeutig erkannt.“
„Wie geht es Mom und Dad?“
„Was denkst du denn?“
„Und dir?“
„Ich kann es nicht glauben. Vielleicht wenn ich sie sehe …“, stammelte Brad.
„Bist du bei unseren Eltern?“
„Nein. Ich fahre jetzt hin. Dad hat mich angerufen und mir Bescheid gegeben. Nimm dir bitte ein Taxi. Ich möchte nicht, dass du in diesem Zustand Motorrad fährst. Nicht, dass dir auch noch etwas passiert.“
„Was für ein Zustand?“, erwiderte Ruby. Aber sie wusste natürlich, was Brad meinte.
„Bitte!“, wiederholte er eindringlich. „Ich kann dich auch
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