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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Umständen hinreichend Respekt vor den Überzeugungen und Glauben anderer Menschen gehabt, um sie nicht zu manipulieren.

    Schräg stehende Augen, einige Sommersprossen, ein kühler, etwas spöttischer Blick: Ich wusste nicht einmal, ob sie mir gefiel, aber doch, als wir uns das erste Mal sahen, war klar, dass es nicht dabei bleiben würde. Es war etwas Magnetisches, das wechselwirkte, Anziehung, Abstoßung, ich wusste es vom ersten Moment an.
    Was ich fü r sie war, wusste ich hingegen nicht; vielleicht war aus ihrer Sicht das Beste an mir, dass ich mich so schwer einordnen ließ. Darin konnte sie eine Gemeinsamkeit erblicken. Von Haus aus war sie verwöhnt, als späte, so sehr gewünschte Nachzüglerin, und immer bemüht, ihre beiden Halbgeschwister ins Gespräch zu bringen, ohne freilich den Altersunterschied von fast einem Jahrzehnt zu erwähnen, der sie de facto zu einem Einzelkind machte.
    Ihre Handschrift hatte etwas Verschrä nktes, in sich Verwundenes. Sie spielte Theater, und ich glaube, ihre Geduld konnte mit ihren Ansprüchen nicht Schritt halten, weshalb es häufig Probleme gab. Für jede konkrete Schwierigkeit gab sie ohne zu zögern anderen die Schuld, sozusagen als Ausgleich dafür, dass sie allgemein und unspezifisch beständig an sich selbst zweifelte. Das ließ sie dann wieder schutzbedürftig und verletzlich erscheinen, und in der anfänglichen Verliebtheit erlebte ich es als eine Auszeichnung, diese Seiten an ihr entdecken zu dürfen. Doch ihre Sensibilität beschränkte sich auf kurze Phasen und vor allem großteils auf ihre eigene Person: Ferner auf eine abstrakte, formelhafte Liebe zu einer Natur, die sie aus Gründen der Bequemlichkeit kaum aus nächster Nähe kannte, und in der sie vor allem wieder sich selbst bespiegelte. Trotz ihrer Intelligenz erkannte sie die Ironie nicht, wenn sie von Plänen für eine Kajakwanderung entlang der grönländischen Küste so sprach, als stünde die Reise unmittelbar bevor, um im nächsten Moment den Kellner eines wohltemperierten Restaurants anzufahren: Er möge gefälligst dafür Sorgen, dass seine Gäste nicht erfrieren. Falls sie aufgrund einer Erkältung ihr Engagement nicht wahrnehmen könne, sei mit juristischen Konsequenzen zu rechnen.

    Sie wohnte nahe am Fluss, und wenn ich nach einem heißen, schon reichlich späten Sommertag abends zu ihr fuhr, war die Luft gesättigt von der Feuchte verdunstenden Altwassers vermischt mit der letzten Süße von Blüten, deren Kelche sich zu weit geöffnet hatten, um sich wieder schließen zu können vor der Kühle der Nacht. Gelegentlich erwuchs aus der Summe unserer Unzulänglichkeiten etwas, das für einen Nachmittag, einen Abend, oder eine Nacht vollständig und ganz war. Gelegentlich wurde die Plastikfolie löchrig und riss, die mich sonst von den Dingen trennte, und durch die ich zwar ihre Formen und ihre Wärme spüren konnte, nicht aber ihre Textur. Einmal fuhren wir für ein paar Tage ans Meer, es war schon Herbst, und die Übereinstimmung hielt für die ganze Dauer unseres Aufenthaltes an, um schon auf der Rückfahrt an irgendeiner Lappalie zu zerbrechen.

    Als meine Zeit bei den Severitern begann, ließ sie sich in unregelmäßigen Abständen auf der Wache blicken; auch dann, wenn ich nicht da war. Sie bat sogar um ein Aufnahmeformular, um dann seufzend ihre vielen Verpflichtungen zu erwähnen, so als sei sie überfordert von einer großen Anzahl karitativer Aktivitäten; dabei gab es doch nichts, was sie nicht allein für sich selbst tat. Lose Verbindungen ohne Verpflichtung, und dabei immer der Versuch, sich in Szene zu setzen und mit allen gut zu stellen.
    Waren wir nich t allein, dann war alles, was sie sagte, im Grunde manipulativ, mitunter auf erstaunlich plumpe Weise. Doch statt sie für ihr oft übertriebenes, bühnenhaftes Auftreten zu hassen, liebte ich sie für die Stunden, in denen sie abließ von ihren Masken und sich erlaubte, so weit wie möglich sie selbst zu sein. Ich sah darin keine Einzelereignisse, sondern folgerichtige Schritte auf einem Weg, der uns näher zusammenführen würde. Vermutlich aber geschah genau das Gegenteil, und etwas in ihr hatte das Bedürfnis, mich dafür zu strafen, dass ich ihre schwachen Momente miterlebt hatte, ihre Selbstzweifel kannte. Nach ein paar Monaten betrog sie mich; ich wusste es sofort, auch ohne Nagelspuren am Rücken oder fremdes Aftershave, ließ mich aber von dem überzeugen, was mir das Liebste gewesen wäre: dass alles in Ordnung sei. Denn

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