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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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einen Bogen um die Mä nner hier im Umfeld gemacht – oder umgekehrt. Sie war dünn, dünn auch ihre dunklen, glatten Haare, in hartem Kontrast zur Blässe ihrer Haut. „Kannst mich Geli nennen“, so hatte sie mich in meiner ersten Woche hier begrüßt, die unverhohlene Begutachtung von mir als Neuem als offensichtlich ganz natürlich empfindend.
    „ Und wenn ich nicht will?“
    Sie lä chelte, sie strahlte, und ich wusste noch nicht, was das zu bedeuten hatte: dass sie jegliche Art des Interesses als Kompliment nahm, auch die Verweigerung ihres Spitznamens.
    Von diesem Moment an behandelte sie mich wie einen Vertrauten. Die meisten Kollegen taten entweder so, als sei sie einfach nicht da, oder betrach teten sie als so etwas wie ein Maskottchen, einen Glücksbringer, der entweder interessante Einsätze oder einen ruhigen Abend bescheren konnte. Zudem verstand sie den Funk und konnte das Mikrowellenfertiggericht vorbereiten oder den Topf mit Tomatensoße auf den Herd stellen, wenn die Chance bestand, dass die diensthabenden Kollegen bald von einer Fahrt zurück sein würden.
    Was peinlich vermieden wurde, war, ihr persö nliche Fragen zu stellen. Wo sie wohnte, das war bekannt, weil wir sie öfter dort abends vor der Tür absetzten: ein kleines Haus mit rauem, dunkelgrauen Putz und grünem Kunststoffzaun um den Vorgarten herum. Alles andere – wer ihre Eltern waren, was sie machten, wieso sie so viel Zeit hier verbrachte, was sie nach der Schule tun wollte – blieb ungefragt, und sie schien nicht unglücklich mit diesem Arrangement.

    Nur Schlager machte da nicht mit: Irgendwann am Nachmittag unserer ersten gemeinsamen Schicht begann ihre bloße Anwesenheit, ihm offensichtlich auf die Nerven zu gehen.
    „ Sag, weißt du eigentlich nichts Besseres mit deiner Zeit anzufangen, als hier herumzusitzen?“
    Trä nen schossen ihr in die Augen. Sie nahm eine Hand mit der geballten Faust vor den Mund und biss in den Ärmel ihrer dünnen Jacke. Dann war sie draußen.
    Schlager schü ttelte den Kopf und schob seine Brille wieder hoch. „Einmal fragt man sie etwas, schon gibt’s Theater. Wird mir eine Lehre sein.“ Er steckte seine Nase wieder in die Zeitung. Ich stand seufzend auf, um ihr nachzugehen.
    „ Aber dir offensichtlich nicht!“, rief er mir noch hinterher.

    Ich fand sie im Auto, hinten im Patientenraum. Sie zeigte auf die abschließbare Schublade mit den Medikamenten. Der Schlüssel hing an meinem Bund; alle hauptamtlichen Rettungsdienstmitarbeiter hatten ein Exemplar. „Was ist da alles drin?“, fragte sie. Ein ungutes Gefühl in der Magengegend, war ich dennoch dankbar, eine sachliche, eine beantwortbare Frage gestellt zu bekommen, und schloss auf.
    „ Alles Mögliche. Anregendes für Reanimationen: Atropin – wirkt auf das vegetative Nervensystem. Suprarenin – besser bekannt als Adrenalin. Lidocain – verbessert die elektrische Reizleitung am Herzen.“
    Angelika blickte mit unfokussierten, dunklen Augen auf die sauber geordneten Ampullen. „ Ich brauche etwas anderes. Ich brauche das Gegenteil. Etwas, das mich schlafen lässt.“
    „ Du hast Schlafprobleme?“
    Sie sah mich an. Ich suchte weiter nach einer Mö glichkeit, sie misszuverstehen.
    „ Schon heiße Milch mit Honig probiert?“
    Ein wü tender Glanz trat in ihre Augen. „Bist du so blöd?“
    Ich sah die Situation einmal mehr wi e von außen, und ein Teil von mir fragte ganz nüchtern, ob das jetzt ein Anlass sei, laut zu werden, sich aufzuregen, auf sie einzureden. Stattdessen sah ich sie nur an: „Warum?“
    „ Meine Sache. Hilfst du mir?“
    „ Ich bin als Helfer denkbar ungeeignet. Eigentlich für alles.“
    Sie gluckste. „ Hast du das in deiner Bewerbung geschrieben?“ Ich hatte sie noch nie spöttisch oder schlagfertig erlebt. Sie wirkte jetzt überhaupt beinahe heiter.
    „ Bist du krank? Liebeskummer? Ärger – in der Schule? Mit den Eltern?“
    Sie s ah mich beinahe verächtlich an, hatte kaum noch etwas mit dem verschüchterten Mädchen gemein, das ich bisher gekannt hatte.
    „ Meine Eltern“, sagte sie langsam, als lausche sie nur auf den Klang der Worte, nicht auf ihre Bedeutung. Dann straffte sie sich.
    „ Das ist egal. Hilfst du mir?“
    „ Darauf kann ich dir nur eine Antwort geben, das weißt du.“
    „ Dann vergiss es.“ Sie zog mit einer zielsicheren Bewegung, das fiel mir auf, ein Papiertuch aus dem Spender und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, öffnete die Tür und ging wieder die Stufen zum

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