Circulus Finalis - Der letzte Kreis
eine blond, die andere brünett, beide groß gewachsen, saßen aufrecht in ihren Sitzen, den Blick starr geradeaus. Ihre sorgfältig frisierten Scheitel ragten knapp über den oberen Rand der blind gewordenen Frontscheibe hinaus, aber soweit wir sehen konnten, fehlte ihnen nichts. Kein Tropfen Blut auf den gemusterten Sitzen, selbst die Frisur saß noch. Offensichtlich hatten sie sich im entscheidenden Moment geduckt. Jost begann zu lachen, dabei zitterte er leicht, es war eine kalte Nacht. Ein strenger Blick von Metz brachte ihn zum Schweigen.
Sie mussten schon mindestens zehn Minuten so sitzen, denn so lange hatten Unfallmeldung, Alarmierung und Anfahrt auf alle Fälle gedauert. Offensichtlich waren sie unterwegs in die Disco gewesen oder kamen von dort, wer weiß das schon, so mitten in der Nacht – kurz berockt jedenfalls, großzügig geschminkt, die eine mit einer knappen, glänzenden Jacke, die andere mit glitzernden Applikationen auf dem T-Shirt, die den Blick vermutlich in Richtung Dekolleté lenken sollten. Trotzdem vermittelte ihr versteinerter Blick etwas Würdevolles, das nicht recht zum Outfit passen wollte und an die blinden Augen der Sphinx erinnerte. Trotz der Kälte sah man keine Atemfahnen aufsteigen.
Vorsichtig und mit einer gewissen Scheu nä herten wir uns; wer konnte schon sagen, was hinter diesen glasigen Augen vor sich ging. Offensichtlich hatte die Fahrerin, die mit den Glitzerapplikationen, noch durch eine Bremsung einen Teil der Bewegungsenergie des Fahrzeugs abbauen können; den Rest hatten Erdwall und Motorblock absorbiert. Die Türen ließen sich öffnen.
Vorsichtig sprachen wir unsere Patientinnen an. Zwar gab es keine Antwort, und au ch ihr Blick blieb unfokussiert und leer, wie er war, aber folgsam stiegen sie, von uns gestützt, aus. Jost gab der Leitstelle Rückmeldung: Vorsichtshalber bestellten wir den zweiten Rettungswagen nicht ab, um für den Fall innerer Verletzungen oder eines Kreislaufzusammenbruchs vorbereitet zu sein. Als die Kollegen jedoch den Unfallort erreichten, saßen beide Mädchen bereits im Patientenraum, und der inzwischen ebenfalls eingetroffene Notarzt sprach sich dafür aus, sie nicht getrennt zu transportieren. Auch Polizei und ein Feuerwehrfahrzeug gesellten sich dazu, um die Unfallstelle zu sichern, Daten aufzunehmen und eine eventuelle Ölspur zu beseitigen. Jeder, der neu zu uns stieß, blickte ungläubig hin und her zwischen dem abgetrennten Dach und dem ein Stück weit ins Erdreich gegrabenen Autowrack, und konnte kaum glauben, dass die beiden Insassen keine erkennbaren Verletzungen davongetragen hatten.
Im Patientenraum wurde minü tlich wiederholt, alles sei gut, ohne, dass wir so ganz wussten, ob das wenigstens im unmittelbaren, medizinischen Sinne zutraf. Schließlich machten wir uns an die Abfahrt zum Krankenhaus. Der Nebel war jetzt gleichmäßiger geworden, dichter; beim Blick in die Ferne nur konturlose Feuchtigkeit im Scheinwerferlicht. Man starrt in das Weiß auf der Suche nach einem Halt für die Augen, hellwach und die Sinne übermäßig geschärft, aber da ist nichts, was es wahrzunehmen gäbe: Das ist der Nährboden für Halluzinationen.
Ich schaltete das Blaulicht aus, dessen Schein im Nebel keine Hilfe war. Immer w ieder verirrten sich meine Augen trotz der Wetterverhältnisse hin zum Rückspiegel, in dessen dunklem Rahmen ich die beiden Mädchen sitzen sah, mit dieser Leere im Blick wie eine Reflexion der Leere hinter der Fensterscheibe.
In der Notambulanz erwartete man uns schon mit den üblichen Späßen angesichts des schnellen Wiedersehens. Es gab eine etwas füllige Schwester, die meine übliche Distanz mit Schüchternheit verwechselte und der festen Überzeugung war, dass ein wenig Führung angebracht sei. Ich war froh, als wir wieder im Auto saßen.
Metz war bester Dinge und sah uns triumphierend an: „ Na, was sagt ihr – meine Voraussage hat sich mehr als erfüllt .“ Das kuriose Element dieses Unfalls lud dazu ein, die Endgültigkeit des Geschehens beim vorangegangenen Einsatz zu verdrängen. Mehr noch als das, das Allerbeste war: Wir hatten etwas zu erzählen.
Gegen vier erreichten wir wieder die Wache. Hanna war geblieben; sie hatte auf der Couch zusammengerollt geschlafen. Gerne hätte ich sie in den Arm genommen, aber etwas hielt mich davon ab: Sie war wieder weit entfernt, weiter selbst als in der Zeit, in der ich nichts von ihr gehört hatte. Der Kuss vom Vortag schien unendlich lange her, und seine
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