Circulus Finalis - Der letzte Kreis
psychisch gut verkraften, weil man in der Regel erst die Bühne betrat, nachdem ein Unglück passiert war. Waren wir dann vor Ort, bestand die Möglichkeit zur Besserung, und dass das eigentliche Ereignis noch bevorstand, das war die große Ausnahme. Einzutreffen und einen Bewusstlosen zu reanimieren, das war etwas ganz anderes als den Punkt für die Herzdruckmassage auf der Brust von jemandem zu suchen, mit dem man eben noch gesprochen hatte.
Metz und ich, obschon der Einsatz auch uns nicht kalt ließ , gaben uns betont sachlich und professionell, teilten Lob aus und gaben ein paar Tipps. Gemeinsam räumten wir nach dem Einsatz auf und ersetzten das verbrauchte Material. Metz verschwand kurz und holte aus einem Automaten Schokolade, drückte sie dem Jungen in die Hand, obwohl das Essen im Patientenraum des Fahrzeugs normalerweise verboten war. In diesem Moment fühlte ich mich Metz verbunden und fand unsere gereizte Diskussion zuvor auf der Wache lächerlich und überflüssig, und aus meiner üblichen Distanz überlegte ich, ob es eine angemessene Geste wäre, den beiden die Hand zu geben.
Aber so etwas bedarf nicht der Ü berlegung, man tut es einfach, oder man tut es nicht. Bevor ich mich entscheiden konnte, lösten unsere Funkmelder erneut aus.
13
Wahrscheinlich haben wir uns alle schon in den gedanklichen Labyrinthen verloren, die den Begriff Realitä t hinterfragen und zerlegen, bis, unter dem Mikroskop, nicht viel davon übrig bleibt. Haben unseren Partner, sofern er geduldig genug ist, mit den surrealen Elementen unserer Traumwelt der letzten Nacht konfrontiert, oder uns einer unangenehmen Diskussion mit dem Hinweis entzogen, was denn schon wirklich sei in dieser Welt, und was objektiv. Und dann beim Aufhängen eines Bildes mit dem Hammer den Daumen erwischt, und in diesem ersten Sekundenbruchteil, den es dauert, bis das Schmerzsignal das Gehirn erreicht und kurzfristig jeden anderen Gedanken auslöscht, da wissen wir es wieder: Es gibt Dinge, die unsere Aufmerksamkeit mit großer Unmittelbarkeit fordern, und wir können uns dem nicht entziehen. Ob wir sie als Realität begreifen oder als Illusion, das ist ihnen egal.
Und ich, ich hatte mich schon viel zu lange nicht mehr handwerklich betä tigt. Mit keiner Zange in den Finger gezwickt, keinen Fingernagel blau geschlagen. Mir war etwas verloren gegangen, ohne dass ich es bemerkt hatte.
Wir saßen wieder im Auto, Jost hinten mit dem Kopf an der Trennscheibe. Der Einsatz war uns als V.U. , als Verkehrsunfall gemeldet. „Ungewöhnlich für einen siebenundzwanzigsten Dezember“, meinte Metz, so als müssten die Ereignisse bis ins Detail seinem statistischen Muster folgen. Es war neblig geworden inzwischen, das war vielleicht schon Erklärung genug. Kein gleichmäßiger, alles abdeckender Nebel, sondern dichte Schwaden von Feuchtigkeit, fast schon wesenhaft, dazwischen helle Momente. Genau das Wetter, das am Steuer eines Autos dazu verleiten konnte, ungebremst in blindes Grau einzufahren, in der Erwartung, die Sicht werde gleich wieder besser.
Der Unfallort lag auf einer der drei die Stadt zerschneidenden Autobahnen, augenscheinlich an einem Autobahnkreuz, und Metz bemühte sich über Funk gemeinsam mit der Leitstelle zu klären, welche Auffahrt wir nehmen mussten, um uns nicht am Ende durch sechs Spuren vom Unfallort getrennt zu sehen. Nach weiteren Details fragte er nicht.
Schließ lich waren wir uns einig, über eine Rampe ging es hinauf. Der schlechten Sicht wegen fuhr ich langsam; die feuchte Luft reflektierte das Blaulicht. Nach einigen hundert Metern erreichten wir eine Verzweigung, und wie ein Vorhang teilte sich der Nebel.
Vor einem groß en, blauen, leicht schief stehenden Hinweisschild lag ein abgetrenntes Autodach. Die hinteren Seitenverstrebungen hingen noch daran, die Heckscheibe war überraschenderweise intakt. Jenseits der parallel verlaufenden Heizdrähte war sie noch beschlagen, das nahm ich überraschend deutlich wahr, und spürte gleichzeitig, wie sich entgegen aller Logik mein Herzschlag verlangsamte, so als sammle sich der Körper für das, was bevorstand.
Langsam setzten wir unsere Fahrt fort. Knapp hundert Meter weiter steckte ein roter Ford, die Motorhaube zusammengeschoben und halb begraben in einem Erdwall. Ich hielt in angemessenem Sicherheitsabstand, und zu Fuß, mit zwei Koffern ausgerüstet, legten wir die letzten Meter zurück.
Das Bild, das sich uns bot, war unerwartet und auch lächerlich. Zwei junge Frauen, die
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