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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Bedeutung über seine Dauer hinaus völlig unklar.
    Trotz der frü hen Stunde lauschte sie aufmerksam Metz’ Bericht über den Autobahnunfall; ein schwer zu deutendes Lächeln umspielte dabei ihre Lippen. Ich spielte gedankenverloren mit den Buchstabensteinen, die noch über den Tisch verstreut lagen.
    „ Und davor?“, fragte Hanna, als Metz geendet hatte. Die Frage zwang mich in die Gegenwart, Lazarus stand vor mir auf dem Tisch, 27 Punkte, aber ein Eigenname. Langsam schob ich die Steine wieder auseinander. Metz hob ein wenig kraftlos die Hand und antwortete: „Der davor, der hatte weniger Glück. Der...“
    Er hielt inne, sah mich an: „ Das gibt’s doch nicht. Kannst du dich erinnern, was er gesagt hat, bevor – zum Schluss?“
    Ja, da war etwas gewesen. Fast ein Reim.
    „Eine Nacht, einmal Pech, einmal Glück, so etwas.“ Metz war aufgesprungen. „Als ob er von unserem nächsten Einsatz gewusst hätte.“
    Ahnungen. Jeder hatte sie. Die ü berwältigende Mehrheit traf nicht zu, und man vergaß sie schnell wieder. Nur die, die sich zufällig bewahrheiteten – die blieben in Erinnerung. Ahnungen, die sich nicht regelmäßig und vor allem deutlich äußerten, waren wertlos.

    So etwas in der Art hätte ich sagen können, so etwas hätte ich normalerweise gesagt, aber in diesem Moment hielt mich etwas davon ab. Der übernächtige, hellsichtige Zustand aller Sinne, das unverarbeitete Geschehen der Nacht, das Gefühl, eingesponnen zu sein in das dichte Geflecht des Nebels. Hannas Augen, die mich mit einem Mal wieder aufmerksam ansahen, so als erwarte sie etwas von mir: Als sei ich der Schlüssel, was weiß ich wozu, zur Heilung ihres Leidens, zum Verstehen des Warum. Ich hatte keine Ahnung, aber das Gefühl, dass sie in diesem Moment in mir nicht eine Person erblickte, sondern etwas Höheres, ein Prinzip. Und in diesem Moment und für sie wollte ich dieser Schlüssel sein, ganz gleich, wozu. Meine Finger schoben die Buchstabensteine auf dem Tisch hin und her und versuchten, ein neues Muster zu finden.

    Unvermittelt fragte ich, ob sie überhaupt wüssten, auf wen unsere Organisation, ursprünglich ein Bund, eine Ordensgemeinschaft, zurückging. Hanna sah mich mit einem rätselhaften Blick und einem halben Lächeln an. Das Licht war gedämpft, auf dem Schaltpult glühten ein paar Leuchtdioden. In diesem Moment entdeckte ich eine Leidenschaft in mir, die ich nie vermutet hatte, nämlich die, zu erzählen. Und ich wollte eine Geschichte erzählen, die sie, die Engel in Regionalzügen traf, beeindruckte, ihr darin nahe sein und nebenher noch die Kollegen auf die Probe stellen, die das Geld für die höchste, alles bewegende Kraft auf der Welt hielten. Ein verzweifelter Versuch, die Plastikfolie zu zerreißen, die mich von der Welt trennte. Und der Weg dazu führte über Hanna. Bei ihr war ich verwundbar wie sonst bei niemandem; vielleicht hatte sie auch die Macht, mich vollständig zu machen, heil. Ich fühlte mich ihr so nah und gleichzeitig unüberbrückbar fern, ein fast körperlicher Schmerz. Ich wollte mit meiner Geschichte bei ihr sein, einen Schritt in ihre Realität tun, und sei es nur zum Schein.
    Vermutlich war es ein bisschen zu viel auf einmal, was ich da a nstrebte.

    Ich sah den Ordensgründer vor mir: Sarazul, ein Arzt, der zur Zeit der Kreuzzüge, obgleich maurischer Herkunft, zum christlichen Glauben konvertiert war und Latein gelernt hatte. Ein verwittertes Gesicht trotz junger Jahre, der Kopf in ein blaues Tuch gewickelt, schmale Augen über einem kurzen Bart mit einem Anflug schon von Grau. Die Kreuzzüge, das war billig, aber unverzichtbar: Das roch förmlich nach Blut und Tod, vage auch nach guter Absicht, die sich ins Gegenteil verkehrte; nach dem Verlust von Vernunft und Menschlichkeit und dem Mittel, das den Zweck ad absurdum führte.
    Sarazul stand ü ber diesen moralischen Kategorien, er hatte geheilt, wo etwas zu heilen war, und Leiden verkürzt, wo er keinen Ausweg wusste. Er hatte gekämpft, wenn die Seinen kämpften, und war dem Tod fast täglich begegnet. Fast hätte auch sein Leben vorzeitig geendet, auf einem staubigen Schlachtfeld zwischen lauter Gefallenen, doch fand sein starkes Herz zurück ins Leben, und von der Schwelle brachte er eine denkwürdige Erkenntnis mit. Wenig später war er konvertiert: Mehr aus Neugier denn aus Überzeugung, denn zu tief trug er die Erkenntnis in sich, dass die Menschen im Tod einander alle gleich seien.
    Er schrieb, dass das Wissen jeden

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