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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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ansprach: Ein weiterer Einsatz, nicht weit von hier.
    Ich sah schon wieder Metzens Augen unruhig hin und her schwe nken. Zweifellos fürchtete er, der andere Einsatz könnte vielleicht von beiden der interessantere sein. Jetzt mussten die Kollegen von der Einserwache das mit übernehmen. Mir warf er nur einen viel sagenden Blick zu – siehst du, die Statistik lügt nicht, ich habe es doch gesagt. Sogar zwei Einsätze in der von mir prophezeiten Stunde.
    Der Notarzt, ein dü nner blonder Wenigsprecher, überlegte kurz und entschied dann, dass wir unseren Patienten vorsichtshalber ins Krankenhaus bringen sollten. „Schafft ihr das?“ Wir nickten. Er winkte halbherzig und machte sich mit seinem Fahrer auf den Weg zum nächsten Fall.
    Wir ließ en uns Zeit, beruhigten unseren Patienten und brachten ihn mit dem weniger einschüchternden Tragestuhl ins Auto. Ein wenig Sauerstoff, einen Ausdruck vom EKG, in etwas mehr als zehn Minuten wären wir im Krankenhaus. Die Frau, die uns die Tür geöffnet hatte, verabschiedete sich, obwohl auch sie das Haus verließ, die Tür zu dem weiß gestrichenen Bungalow fiel ins Schloss.
    Diesmal war ich es, der fuhr; z war mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn, denn es gab ohnehin wenig Verkehr. Einzelne Schneeflocken tanzten orientierungslos durch die Dunkelheit und blitzten im wechselnden Schein kurz auf.

    Wir waren vielleicht noch einen Kilometer vom Krankenhaus entfernt, als Metz energisch an die Scheibe schlug, die Patienten- und Fahrerraum trennte. Im Spiegel hatte ich eine gewisse Unruhe bemerkt, nichts Ungewöhnliches. Ich hielt rechts am Rand der vierspurigen Schnellstraße und ging nach hinten.

    Unser Patient saß noch im Tragestuhl und hielt sich den Arm. Schweiß stand ihm auf der Stirn, er atmete schwer. Die durchsichtigen Auslässe der Sauerstoffbrille aus Plastik waren ihm heruntergerutscht, die Augen waren weit aufgerissen. Metz war ernst und gefasst, es bedurfte keiner weiteren Worte. Wir betteten ihn auf die Trage um. Er entschuldigte sich kurzatmig für die Umstände, es war ihm ganz offensichtlich peinlich, dass wir ihn so sahen. „Was müssen Sie von mir denken“, sagte er, „normalerweise lasse ich mich nicht so gehen.“ Als er vollständig ausgestreckt lag, ging es ihm wieder etwas besser, und wir kontrollierten erneut die Anschlüsse von Sauerstoff und EKG. Ich rief die Leitstelle und forderte erneut den Notarzt an. Zwar wird im Rettungsdienst gerne in erster Linie ein Transportunternehmen gesehen; erstes Ziel ist aber immer, den Patienten so zu stabilisieren, dass er eine Fahrt ohne Zwischenfälle überstehen kann.

    Als ich wieder nach hinten ging, sah ich Schweiß jetzt auch auf Metzens Stirn. Der Praktikant suchte aus der Medikamentenschublade Ampullen hervor und legte Einwegspritzen bereit. Der Mann war vollständig grau im Gesicht, kaum noch bei Bewusstsein mit nutzlos verdrehten Augen, die Haut wächsern und feucht. Sein Atem ging stoßweise und unregelmäßig. Plötzlich riss er die Lider auf, Schweiß lief ihm in den Augenwinkel; er zwinkerte, und seine Züge verzerrten sich wie unter großer Anstrengung. Dann sprach er mit einer überraschend gleichmäßigen, fast tonlosen Stimme und kurzen Pausen, so als sei es ein Gedicht:
    Eine Nacht einmal Glü ck einmal Pech
    Nicht einmal eine Minute spä ter zeigte das EKG eine glatte, waagerechte Linie.

    Wir taten, wie üblich, unser Möglichstes. Metz hatte gut vorausgedacht, Beatmungsbeutel und Medikamente lagen bereit. Unser Praktikant wuchs über sich hinaus, der Notarzt war schon kurze Zeit später da, eigentlich günstige Bedingungen für eine Wiederbelebung. Aber ein Herzinfarkt in relativ jungen Jahren ist oft umso verheerender, und nachdem auch der dritte Versuch einer Defibrillation erfolglos war, wurde entschieden, unter Reanimation ins nahe Krankenhaus zu fahren. Personell waren wir gut aufgestellt, und außerdem befreite uns das von der Notwendigkeit einer Fahrzeugdesinfektion: Stellte der Notarzt hier an der Straße den Tod des Mannes fest, dann war diese unvermeidlich; übergaben wir den formal noch immer in Behandlung befindlichen Patienten dem Krankenhaus, das vermutlich wenig später das zähe Ringen um das schwindende Leben offiziell beenden würde, dann wären wir eine Viertelstunde später wieder einsatzbereit. Auch in tragischen Situationen gab es praktische Erwägungen.

    Unser Nachwuchssanitäter Jost war arg mitgenommen. Der Rettungsdienst ließ sich normalerweise vor allem deshalb

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