Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Eifer nach, der mich selbst überraschte. Ich gestand mir ein, dass ich vom Erfolg der beiden beeindruckt war, und fand, dass sie ein Ergebnis verdient hatten. „Wie lautet es?“
Metz zö gerte, als habe er Sorge, dass unser Gespräch abgehört würde.
„ Also gut. Hör zu: ‚Wir sind der Circulus Finalis. Wir sind die, die die Frage stellen.’ “
„ Was soll das bedeuten?“ Ich musste meine Ratlosigkeit nicht spielen.
„ Ich habe keine Ahnung. Das ist völlig vage. Vielleicht hat es mit der Letzten Frage zu tun, aber weiter gibt es keinen Anhaltspunkt. Wir haben den lateinischen Text erschöpfend untersucht. Anfangsbuchstaben der Worte, Endbuchstaben, jeder zweite Buchstabe, vorwärts, rückwärts. Nichts. Wir hatten gehofft, du hättest eine Idee.“
Ich verneinte. Innerlich ä rgerte ich mich, dass Siad es so kompliziert gemacht hatte. Ich mochte keine Rätsel.
Also rief ich ihn an. Er war guter Dinge, offenbar aber mit irgendetwas anderem nebenher beschäftigt. Ich sah ihn vor mir, mit irgendeiner Bastelei auf der Werkbank, den Telefonhörer an der Schulter eingeklemmt. „Was soll das? Was heißt das?“
Er kicherte. „ Na da wart ihr ja gar nicht schlecht, gar nicht schlecht. Aber so einfach mache ich es euch natürlich nicht. Das wird noch eine Weile dauern, bis ihr darauf kommt. Eines kann ich dir verraten: Der zweite Satz zitiert Niels Bohr, den Physiker. Ein Versuch zur Bestimmung der Stellung des Menschen im Universum.“
„ Das ist Mist. Meine Geschichte reicht viel weiter zurück, und wenn du schon ein Zitat verwenden musst, dann hättest du eines aus dem ersten Jahrtausend verwenden sollen.“
Es passte mir nicht, dass er mich zu den anderen rechnete. Immerhin war es ursprü nglich meine Idee, und außerdem bestand die Gefahr, dass die Entschlüsselung ohne Hilfe nicht gelingen würde. Ich versuchte klarzustellen, dass ich eingeweiht sein sollte, aber er kicherte nur wieder. „Keine Sorge, wird niemand merken. So ein kulturbeflissener Verein seid ihr ja nicht. Und falls es den Kollegen doch auffällt, werden sie glauben, auch Bohr sei ein Geheimbündler gewesen; wer weiß, vielleicht ist er so zu seinem Nobelpreis gekommen?“ Er kicherte wieder mädchenhaft, und ich erinnerte mich, dass er das schon immer getan hatte. Er ging ganz auf in seiner Rolle als Spielmeister. „Es ist alles vorbereitet, wird dir gefallen.“
Etwas weniger ü berdreht, aber voller Vorfreude fuhr er fort, er werde Anfang Februar, gleich zu Beginn der Semesterferien, für ein paar Tage nach Damaskus reisen, um Verwandte und seine alte Heimat zu besuchen. Seine Dankbarkeit Deutschland gegenüber hatte ihn noch nie davon abgehalten, das Land seiner ersten Lebensjahre zu idealisieren, obwohl seine Eltern von dort politischer Gründe wegen mehr geflohen als abgereist waren. Syriens Zukunft stellte er sich hell und aufgeklärt vor, und dass er selbst einen erwähnenswerten Beitrag dazu leisten würde, daran gab es für ihn auch keinen Zweifel. Vermutlich war aber auch ihm völlig unklar, wie dieser Beitrag aussehen mochte.
„ Stell dir vor, seit meiner Kindheit war ich nicht mehr dort!“ Ich versuchte es mir vorzustellen, war aber nicht bei der Sache, und bemühte mich stattdessen, mehr über seine Planung herauszufinden. „Ich sage dir nur soviel: Du wirst nicht enttäuscht sein.“ Die Frage drängte sich mir auf, wie genau er meine Erwartungen kannte, und was es überhaupt war, das ich erreichen wollte.
Er bemerkte die Pause nicht: „ Ein paar gut bezeugte letzte Worte, die die Geschichte stützen, wären noch schön, aber das ist wohl nicht so leicht zu machen?“
Etwas an dieser Aussage ließ mich frösteln, ohne dass ich wusste, wieso. Schließlich, gestorben wird immer. Irgendwann gibt es für alles ein letztes Mal, auch für das Sprechen.
„ Nein, so leicht ist das nicht.“
Die letzten Worte, die ein Mensch in seinem Leben spricht, bekommt man selbst im Re ttungsdienst nur selten zu hören. Meistens sind es überraschend eingetretene Notfälle, zu denen wir gerufen werden, und meistens ist das Bewusstsein schon fern und artikuliert sich nicht mehr, oder aber es ist deutlich präsent. Das Dazwischen erfordert Geduld und Zeit; Dinge, die wir nicht mitbringen.
Knapp zwei Wochen nach der Versammlung mit Stromausfall fand ich mich ausnahmsweise auf dem Krankenwagen eingeteilt; eine Grippewelle hatte Ausfälle und einen Personalnotstand mit sich gebracht. Härting fuhr mit mir: Auch in dieser
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