Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Fingerkuppen die Linien meiner Brauen entlang. Wo ihre Finger meine Haut streiften, war es, als hinterließen sie eine Spur; wenn ich mir ihrer Nähe bewusst wurde, war sie meistens schon wieder vergangen. Meine Müdigkeit hatte ein nicht gekanntes Maß erreicht, doch war es mir unmöglich, einzuschlafen. Jeden einzelnen Moment und jede Berührung wollte ich im Gedächtnis bewahren. Sie sah mich an mit einer Zuneigung, die gleichermaßen grenzenlos wie überpersönlich war. Ebenso hätte sie vielleicht einen Wasserfall in einem verschwiegenen Wald, einen Fischadler bei der Jagd oder ein Gemälde betrachten können. „Du weißt nicht, auf welcher Seite du stehst“, sagte sie mit einem Lächeln. „Du glaubst, du könntest dich heraushalten.“ Ich versuchte mich aufzurichten, aber sie schüttelte leicht den Kopf und fuhr weiter die Linien meines Gesichts entlang. „Sie haben mich vor dir gewarnt. Aber für mich bist du keine Gefahr.“ Sie stand auf, schwach schimmerte ihre Nacktheit im Dunkeln. „Wer?“, fragte ich, Tann vor Augen.
„ Die Engel.“ Sie verschwand im Badezimmer.
Minuten später war sie fort. Ich hätte in diesem Moment alles dafür gegeben, sie dabehalten zu können, bis zum Frühstück meinetwegen. Aber über ihr Gesicht war ein Schatten geglitten, und ich wagte nicht, zu fragen. Versuchte stattdessen den Faden meiner Gedanken aufzunehmen, da wo sie ihn unterbrochen hatte: Alles kann dir gelingen, alles glücken. Als es hell wurde, schlief ich endlich ein.
In den nächsten Tagen begannen sich jedenfalls die Zeichen dafür zu häufen, dass etwas anderes gelang, nämlich die Kollegenschaft in den Bann meiner Idee zu ziehen. Wegmann war fasziniert. Borsberger eher vorsichtig, skeptisch, aber auch ihn ließ die Geschichte nicht kalt. Tann lachte nur laut, so ein Blödsinn, aber ich war mir fast sicher, dass diese Reaktion eher seiner Abneigung gegen mich entsprang, und dass er in seinem tiefsten Inneren nach etwas hungerte, was seine Existenz heraushob und veredelte, mehr als der Glanz des Blaulichts und die cremefarbene Uniform das konnten. Für Anska war die Vorstellbarkeit der Geschichte zuerst einmal wichtiger als ihr Wahrheitsgehalt; er sah nur ein faszinierendes Mysterium, wie eine Theorie zu einem schwer erklärlichen Flugzeugabsturz, ohne der menschlichen Dimension dabei Bedeutung beizumessen. Und Dommel, Dommel schließlich hielt sich trotz seiner intellektuellen Schärfe nicht lange mit einer Analyse auf. Er wollte dabei sein, dazugehören von Anfang an, und tatsächlich, zum ersten Mal machte sich niemand lustig über ihn. Als Mitglied des Circulus Finalis nahm man ihn so, wie er war. Darüber hinaus dachte er ganz einfach praktisch: Wenn das alles der Wahrheit entsprach, wie konnte man dann Nutzen daraus ziehen, wie Kapital daraus schlagen? Vorsichtig gab ich zu bedenken, dass Sarazul sich ausdrücklich dagegen verwahrt hatte, die geheimen Kenntnisse für profane Zwecke zu nutzen, aber er lachte nur: Geld sei nie profan, höchstens das, was man damit anfange. Punkt für ihn. Die Sache begann, interessant zu werden. Jetzt musste etwas Greifbareres her.
Inzwischen hielt Metz mich auf dem Laufenden über jeden einzelnen Fortschritt bei der Entzifferung des verschlüsselten Textes.
„ Härting ist noch ein wenig skeptisch“, berichtete er mit gedämpfter Stimme, „ihn interessiert im Moment mehr das Problem als die Sache selbst. Aber das wird sich noch geben, du wirst sehen.“
Sie hatten bald heraus, dass jeder Buchstabe der Botschaft fü r einen anderen Buchstaben stand, „eigentlich ein ganz einfaches Prinzip.“ Basierend auf der Annahme, dass es sich um einen lateinischen Text handeln könnte, fahndeten sie nach wiederkehrenden Buchstabenfolgen und versuchten, diese häufigen lateinischen Wörtern wie et oder cum oder sunt zuzuordnen. Doch das erwies sich als schwierig, weil der Text nur aus zwei kurzen Zeilen bestand. Metz war frustriert, dachte aber nicht ans Aufhören. Er, der Statistiker, zählte die vorkommenden Buchstaben der Häufigkeit nach aus und versuchte, Vokale und die gebräuchlichsten Konsonanten zuzuordnen. Als die ersten vier Buchstaben korrekt identifiziert waren, hatte er gewonnen. Der Rest erforderte nur ein wenig Ausdauer und zielgerichtetes Raten.
Doch als er mich anrief, um die Entschlüsselung zu melden, klang er wenig triumphierend. „Wir haben es“, sagte er. „Und übersetzt ist es auch. Aber – “
„ Aber was?“, hakte ich mit einem
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