Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Hinsicht untadelig, war er sich nicht zu schade, diesen Routinedienst in seiner Freizeit zu versehen, da Not am Mann war.
Wir hatten eine Praktikantin zugeteilt bekommen, die ich nur flü chtig und von Erzählungen her kannte; Natalia war ihr Name. Sie war erst vor drei oder vier Jahren aus Weißrussland hierher übersiedelt, und sprach doch fast akzentfreies Deutsch. Ihre rotbraunen, schulterlangen Haare trug sie meist straff zusammengebunden, im freien Fall neigten sie zu Wellen. Die Linien in ihrem Gesicht waren klar und gerade und lenkten den Blick auf zwei grüne Augen, die einen ansahen wie durch Nebel, immer reduziert, entfernt, ohne viel zu offenbaren. Ihr Körper war ein bisschen zu üppig, ein wenig zu kräftig, als dass man sie sich auf dem Laufsteg hätte vorstellen können, aber nicht viel; man sah ihr das Training an, mit dem sie ihre Rückenmuskulatur darauf vorbereitete, Patienten zu tragen, während sie auf einen Studienplatz für Medizin wartete. Es gab Unklarheiten bei der Anerkennung ihrer Schulzeugnisse aus der alten Heimat, wie sie uns erzählte, und obwohl sie nicht daran zweifelte, dass diese bald beseitigt sein würden, wollte sie die Zwischenzeit nutzen, um sich weiterzubilden und praktisch zu arbeiten. Deshalb hatte sie mit der Ausbildung für den Rettungsdienst begonnen.
Ein einsamer, sprö der Reiz ging von ihr aus, gelegentlich konnte sie mit weit aufgerissenem Mund lauthals lachen. Es gab einige, die gerne mit ihr ausgegangen wären und wahrscheinlich von ihr träumten, aber ich glaube nicht, dass sie je einer gefragt hätte. Sie forderte von sich in allen Dingen Perfektion, und in ihrer Gegenwart rissen sich die Kollegen mehr als sonst zusammen. Es gab keine zweideutigen Witze, höchstens außerhalb ihrer Hörweite, und auch dann nur in halber Lautstärke.
Ich fragte sie ein wenig nach ihrem alten Leben, aber ihre Antworten waren unverbindlich und stereotyp. Vermutlich hä tte sie einiges gegeben, um den letzten, kaum hörbaren Rest eines harten, osteuropäischen Zungenschlages loszuwerden, der ihrer Sprache wie ein Bodensatz anhaftete. Wahrscheinlich hätte sie auch ihren an und für sich klangvollen Vornamen gerne angepasst, und ich stellte mir vor, sie hätte das vielleicht wirklich veranlasst, wenn das nicht zu viel von ihr preisgegeben hätte. Obwohl ihre Herkunft für alle außer ihr selbst so selbstverständlich und unerheblich war wie das nasale Wienerisch von Schlager.
Jedenfalls tat ihre Anwesenheit mir gut, und ich bemühte mich, unter ihren aufmerksamen, ehrgeizigen Augen meine Arbeit bestmöglich zu erledigen. Sie war in allem so sehr das Gegenteil von Hanna, aber auch ich spürte etwas von ihrem Reiz. Ein wenig fühlte ich mich ihr nahe in der uns gemeinsamen Unverbundenheit mit dem Ganzen, aber das war sicherlich einseitig, und ich glaube, diese Fremdheit hatte bei uns beiden sehr unterschiedliche Ursachen: Während ein Teil von mir stets befangen blieb in der Perspektive des Beobachters, der alles aus sicherer Distanz sieht, steckte sie so sehr in den Dingen, in ihren Plänen, und wurde von der eigenen Zielstrebigkeit vorangetrieben an allem vorbei, das sie hätte ablenken oder Kraft kosten können.
Wir hatten eine längere Fahrt zugeteilt bekommen, die Verlegung einer frisch am Herzen operierten, übergewichtigen Frau, die schon wieder guter Dinge war und in breitem Dialekt ihre eigene Unverwüstlichkeit lobte. Härting war mit Natalia hinten bei ihr, hörte sich ihre weitschweifige Lebensgeschichte mit professionell wohlwollenden Einwürfen an, während Natalia schwieg. Ich hoffte, dass sich unsere Patientin müde geredet haben würde, bis wir etwa nach der Hälfte der Strecke die Positionen tauschen würden.
Doch soweit kam es nicht. Nur knapp auß erhalb des Stadtgebietes klopfte hinter mir, und ich zog die Scheibe zum Patientenraum auf, ohne mich umzudrehen. „Schwere Zyanose, kaum noch bei Bewusstsein, Puls schwach. Wir brauchen Rettungswagen und Notarzt.“
Seine Ruhe ging mir fü rchterlich auf die Nerven; ich bemerkte, wie ich zu schwitzen begann. Hatten wir etwas übersehen? Laut fragte ich, ob er halten oder in Richtung des nächsten Krankenhauses weiterfahren wollte.
Er schü ttelte den Kopf. „Zu weit. Nimm die nächste Haltemöglichkeit.“ Schnell informierte ich die Leitstelle mit Autobahn, Fahrtrichtung und unseren Absichten, steuerte dann einen unbeaufsichtigten Rastplatz an und eilte nach hinten, um Härting zu helfen.
Es war ein
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