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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Hingegen waren die Chancen, dass er dem Lack des Autos zumindest einen Kratzer hinzufügte, überwältigend, und zusätzlich konnte er noch durch das Gitter des nahen Abflusses fallen.
    Aber das tat er nicht. Er landete genau dort, wohin ich ihn gewünscht hatte, und blieb dort liegen: in der ausgestreckte Hand. Anska blickte sich voller Erstaunen um, mit staunenden Augen. Ich bin sicher, dass es mir ein solcher Wurf in keinem anderen Zustand als dieser bodenlosen Müdigkeit gelungen wäre, auch nicht in stundenlangen Versuchen.
    Es war ein Kreuzzug gegen Ahnungen und Zeichen, den ich mit meiner Geschichte verfolgte, und doch, in diesem Augenblick nahm ich den Schlüsselwurf gerne als Zeichen dafür, dass mir alles gelingen konnte, was ich wollte.

    Was ich wollte, das war Hanna. Und tatsächlich: Zwei Tage später stand sie vor mir, als ich nach einem langen Dienst auf den Bus wartete. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihr Lächeln wirkte entfernt und war dennoch allgegenwärtig. Sie nahm mich am Arm, kaum, dass ich ihre Berührung spürte, und sagte, dass sie mich vermisst habe. „Was hat dich abgehalten“, frage ich sie, und ein Schatten glitt über ihr Gesicht, leicht schüttelte sie den Kopf. Ganz selbstverständlich stieg sie mit mir in den Bus und setzte sich neben mich, so wie es Paare von fünfzehn bis fünfundachtzig tun. Wir erreichten meine Wohnung, und während sie schweigend und ohne meinen Büchern oder dem Zimmer weitere Beachtung zu schenken aus dem Fenster sah, verschwand ich unter der Dusche. Alles geschah ganz ruhig und selbstverständlich und war alltäglich, doch schien es mir unerhört und besonders in ihrer Gegenwart. Eingehüllt vom Strom des warmen Wassers, quälte mich die Befürchtung, sie könne längst wieder fort sein; doch zwang ich mich zur Ruhe. Und tatsächlich: Da war sie, noch immer, den Blick unverändert auf den dunkelnden, nur von einigen hohen Wolken gezeichneten Himmel gerichtet. Ich trat hinter sie.
    Es gab ein indisches Restaurant nur zwei Blocks weiter, aber sie bestand darauf, dass wir gemeinsam etwas zubereiteten. Meine Vorrä te waren überschaubar, aber wir brachten mit Gurken, Tomaten, Paprika und Schafskäse einen Bauernsalat zustande, und ich tat mein Möglichstes und mischte ein passendes Dressing. Den Tisch, der neben der Spüle stand und den ich selten benutzte, rückten wir an das große Fenster heran, und so aßen wir dann, den Blick nach draußen gerichtet, so als spiele sich am klaren Himmel ein großartiger Film ab, von dem wir keine Szene verpassen durften. Sterne lösten sich aus dem Dunst, zwischen Wolken schwamm der Mond durchs Blickfeld, wir saßen fast im Dunkeln und tranken Rotwein. Sie aß gar nicht wenig, fast gierig sogar, und als die Schüssel leer war, tunkten wir Weißbrot in Öl und die Reste des Salatdressings. Es war, als sauge sie alles in sich auf, jedes der wenigen Worte, die wir wechselten, die von draußen einströmende Luft, nachdem ich das Fenster geöffnet hatte, um den Küchendunst zu mildern. Sie presste sich an mich und drängte mich aufs Bett, das gleich hinter meinem Stuhl stand. Obwohl wir schon kurz darauf, ich weiß nicht mehr genau, wie, fast ganz nackt waren, war es mir unvorstellbar, mit ihr zu schlafen. Nicht aus moralischen Bedenken, sondern wegen ihrer Leichtigkeit, ihrer Transparenz: Es wäre mir wie eine ungeheure Grobheit erschienen, so als zwänge ich sie in einen Körper, dem sie bereits entwachsen war. So dauerte unser Zusammensein die ganze Nacht. Irgendwann verlor ich die Übersicht, umfangen vom Nebel der Müdigkeit des vorangegangenen Dienstes, dem Schlaf nah und doch in einem gänzlich anderen Zustand. Noch immer war das Fenster offen: Die Haut kräuselte sich, wo die Kälte der Nachtluft sie berührte, wo Hanna sie berührte, mal leicht, mal überraschend fest, sie war um mich. Manchmal roch ich sie mehr, als dass ich sie spürte, die spärliche Beleuchtung zeigte mir nur einen Schimmer ihrer Haare oder den Glanz in ihren Augen. Es war leicht, sich vorzustellen, dass sie eine Gestalt war aus Nebel und Feuchtigkeit, eine Nymphe vielleicht, die über meine müde Haut strich. Mal waren ihre Berührungen von Zärtlichkeit bestimmt, dann wieder von Lust, manchmal sprach sie Worte, deren Sinn ich kaum verstand, und lachte dann ein leises Lachen wie das Plätschern eines Baches.
    Gegen Morgen hatte sich auch ihre Energie ein wenig erschö pft; sie lag mir zugewandt auf der Seite und fuhr mit ihren

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