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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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hinter ihr geschlossen hatte, streckte ich mich und setzte mich auf; der Blick aus dem Fenster zeigte einen grauen Himmel mit Wolken wie riesigen Walzen, die von Westen heranrollten. Mir war das recht.
    Sorgfä ltig bereitete ich einen Milchkaffee zu, reinigte hingebungsvoll die Espressomaschine, setzte mich mit einem Buch auf zwei am Boden ausgebreitete Kissen, und ließ den Blick beim Umblättern immer wieder nach draußen schweifen, zu den ziehenden Wolken. Für eine kleine Weile war die Welt auf eine sehr schlichte Weise perfekt.

    Ich erinnerte mich, dass mein Telefon noch immer ausgesteckt war; vielleicht hatte Siad sich gemeldet, er musste längst zurück sein. Ich drückte den Stecker in die Anschlussbuchse und starrte den Apparat an, so als müsse er sofort laut geben, und tatsächlich, es dauerte keine Minute, und schon ertönte das Schnarren des Gerätes.
    „ Siad?“
    Metz ’ immer etwas verdrossen klingende Stimme am Telefon. „Äh, nein. Metz hier.“
    „ Ah hallo. Ich habe Probleme mit der Leitung hier. Hast du’s schon länger probiert?“
    „Ä h, nein.“
    Irgendwie hatte ich ihn im Verdacht, zu lü gen, aber auf der anderen Seite – warum hätte er das tun sollen?
    „ Wir kommen nicht weiter. Wir brauchen deine Hilfe.“
    In diesem Wir schwang etwas mit, nicht etwa der Pluralis Majestatis, auch nicht die Ko llegenschaft; es war ein Wir, das etwas Überpersönliches ausdrückte. Etwas aus dem Reich der Ideen und Überzeugungen, das greifbar genug geworden war, um Gestalt anzunehmen. Ich vertröstete ihn auf den morgigen Nachmittag, wichtige Erledigungen, bei den Eltern zum essen. Widerwillig stimmte er zu.
    Dann versuchte ich, Siad anzurufen. Niemand da. Langsam begann ich, mir Gedanken zu machen. Es konnte viele Erklä rungen geben, und außer mir wusste niemand von Siads Verbindung zum Circulus Finalis , aber irgendetwas ging vor, irgendetwas, das es erforderte, aktiv zu werden. Aber wie?
    Das Essen bei meinen Eltern war eine Erfindung gewesen, aber ich spü rte plötzlich das Bedürfnis, mit ihnen zu sprechen, möglicherweise aus dem kindlichen Vertrauen heraus, dass sie eine Lösung wüssten, oder zumindest die magischen Worte sagen würden: Ist halb so schlimm . Aber war es das noch?
    Als Spä tachtundsechziger waren sie mit der Überzeugung an die Kindererziehung herangegangen, dass es ausreichte, alles anders zu machen als ihre eigenen Eltern. Für einen derartig vagen Ausgangspunkt hatten sie, glaube ich, ganz gute Arbeit geleistet, aber es blieb der Verdacht, dass meine eigene Unbestimmtheit auch ein Ergebnis dieser Prämisse war.
    Ich erreichte sie, als sie gerade das Haus verlassen wollten. Besuch bei Freunden im Schwäbischen, das hatte ich vergessen. Dann hören wir uns danach. Ich legte auf und zog das Kabel wieder aus der Anschlussbuchse.

    Einen großen, weißen Zeichenblock vor mir, setzte ich mich auf den Boden, um zu entscheiden, was weiter geschehen sollte. Ich nahm den Block hochkant, schrieb in die Mitte Circulus Finalis , und kreiste die Worte ein. In die obere Hälfte des Blattes schrieb ich Siad , unterstrich die Buchstaben und setzte dazu: Finden . Mein Name fand etwas unterhalb und links Platz. Härting, Metz, die Kollegen in der unteren Hälfte. Viel weiter kam ich nicht. Es dämmerte bereits.
    Meine Gedanken wanderten zurü ck zur Mühle im Wald, zu der windigen Nacht dort. Wie wir auf dem Vordach standen und nach der Botschaft suchten. Irgendetwas passte nicht an diesem Bild, aber die Lösung des Rätsels lag außerhalb meines Gesichtsfeldes, außerhalb meiner Reichweite. Kompass. Ohne es zu wollen, ohne daran zu glauben, überlegte ich, was das in diesem Kontext bedeuten mochte. Es war kaum anzunehmen, dass diese unverständlichen Worte die letzte Botschaft waren: Auf dem Weg nach oben folge deinem Ohr.
    Was uns fehlte, war ein Kurs zum nä chsten Hinweis, eine Richtung.
    Plö tzlich wusste ich, was nicht gestimmt hatte, da auf dem Dach in der windigen Nacht. Dass erst der Anlass für den Sturz des Jungen in den See, dass der Kompass mich darauf gebracht hatte, musste Zufall sein, behagte mir aber trotzdem nicht.

26
    Nachdem Siad: Finden das einzige Ergebnis war, das der Versuch einer systematischen Annäherung an mein Problem ergeben hatte, wollte ich zumindest in diesem Punkt weiterkommen. Auf dem Umweg über gemeinsame Bekannte und das Telefonbuch machte ich anderntags Siads Eltern ausfindig. Eine Frauenstimme meldete sich, die ein wenig nach Pergament

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