Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Fahrer sah mich erwartungsvoll an, das Funkgerä t in der Hand, und war enttäuscht, dass ich nur den Namen eines nahe gelegenen Stadtteils nannte. Auf der Fahrt rutschte ich tief in den Sitz und hielt unruhig Ausschau nach Metz’ dunkelrotem Mazda. Mehrmals meinte ich das Auto zu erkennen, täuschte mich aber doch. Bald waren wir am Ziel, und ich stieg aus.
Die Wolkendecke hatte sich wieder vollstä ndig geschlossen, und leichter Nieselregen fiel vom Himmel. Trotzdem empfand ich die Luft nach der Enge des Taxis als angenehm. Über eine kaum befahrene, asphaltierte Straße gelangte ich bergab in ein schmales Tal, diesmal aus anderer Richtung kommend hin zum Mühlbach. Feuchtigkeit erfüllte die Luft und dämpfte jedes Geräusch.
Abwä rts ging es, bis ich den Bach erreichte; dann am Parkplatz vorbei und das letzte Stück weiter durch den Wald zur Mühle. Die Lampions, die man für den Winter nicht abgenommen hatte, spotteten der Verlassenheit des Ortes. Ohne weitere Umstände begab ich mich auf die Rückseite des Gebäudes und stieg wie beim letzten Mal über einen schmutzigen, runden Tisch auf das Dach des Anbaus. Der Lichtkegel der Taschenlampe tastete sich über das Dach hinauf zum Wetterhahn; sein Auge blickte leer, denn die Metallhülse mit dem Text hatte Metz ja an sich genommen. Es war weniger windig als bei meinem letzten Besuch. Ansonsten war alles so wie zuvor. Der Hahn klapperte leicht und blechern.
Das war es.
Vorsichtig kletterte ich hinauf aufs Dach. Es war noch rutschiger, als ich mir vorgestellt hatte. Oben hielt ich mich verkrampft an dem glitschigen Dachfirst fest und versuchte vorsichtig, den Hahn zu drehen. Das war es, was ich unterbewusst wahrgenommen hatte: Trotz des böigen Windes bei unserem ersten Besuch blickte der Hahn immer in die gleiche Richtung. Er schwankte, drehte sich aber nicht. Im Licht der Lampe sah ich den Grund: Zwei Steine hielten die Stange in Position. Ich zog den durchsichtigen Kompass aus Plexiglas aus der Tasche und stieg noch ein wenig höher, ein Balanceakt. Von oben schauend maß ich 215 Grad, Südsüdwest: Dahin blickte er, der Hahn. Vorsichtig stieg ich wieder zwei Schritte zurück.
Siad. Wä hrend ich im Dunkel auf dem Dach saß, im feuchten Wald, das mehrstimmige Murmeln des Baches im Ohr, fiel es mir auf einmal schwer, mir sein Gesicht vorzustellen. War er jemand ganz anderer, als der, den ich zu kennen glaubte? War das syrische Gefängnis nur eine Täuschung? Alles drehte sich mir im Kopf, eine Art innerer Schwindel. Wer war ich in diesem Spiel? Der Schöpfer des Circulus Finalis , aber auch auf der Suche nach Siads nächstem Hinweis; eine skurrile Art Auserwählter für die Kollegen, Opfer der eigenen Fantasie. Die Absicht, milde eine Lektion zu erteilen, erwies sich zunehmend als vermessen. Jetzt ging es allein noch darum, die Angelegenheit aufzuklären und zu beenden, ohne dass weiterer Schaden entstand.
In nicht genau zu bestimmend er Entfernung hörte ich ein Geräusch. Ich kann mich keines besonderen Gehörs rühmen, aber ich war sofort sicher, dass es der Motor des Mazdas war. Trotzdem rührte ich mich nicht, sondern bemühte mich darum, einen klaren Gedanken zu fassen.
Wenn der Hinweis diese Richtung war, 215 Grad, dann kamen als mögliches Ziel mathematisch gesehen unendlich viele Punkte auf einer Linie in Frage, die in Richtung Südamerika führte. Aber abgesehen davon, dass ein weit entferntes Ziel prinzipiell unwahrscheinlich war, gab es einen gewichtigen Grund dafür, dass der nächste Hinweis in relativ geringem Umkreis zu finden war. Denn selbst, wenn der Kurs mit einer Präzision von einem Grad zu bestimmen war, dann bedeutete das, dass in fünfzehn Kilometern Entfernung bereits eine Ungenauigkeit von einem Dreihundertsechzigstel des Umfangs eines Kreises mit fünfzehn Kilometer Radius erreicht war. Ich rechnete und kam auf ungefähr hundertdreißig Meter, die man links und rechts der gedachten Linie in dieser Entfernung würde mit berücksichtigen müssen. Je nach Bebauungsdichte und Gelände konnte das eine Suche schon ziemlich schwierig machen, und ich tippte darauf, dass der Wetterhahn auf etwas hindeutete, das keinesfalls mehr als zehn oder zwölf Kilometer entfernt lag. Wenn überhaupt; es konnte auch ein hohler Baumstamm in Rufdistanz der Mühle sein.
Ich hö rte Schritte und löschte das Licht der Taschenlampe. Langsam kam wieder Bewegung in mich. Wie sie mich gefunden hatten, darüber wunderte ich mich gar nicht; vielleicht waren
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