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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Frau eilig ein Geschenk gesucht, und sich vage erinnert, dass Kinder so etwas mochten, dass er selbst einmal einen Kompass besessen hatte. Wie immer der auch in seine Hände gelangt war – der Junge hatte ihn nicht loslassen wollen.

    Als wir eine knappe Stunde später wieder vollständig einsatzbereit die Wache erreichten, war unsere Ablösung schon da, Dommel und Anska. Gemeinsam erzählten wir, das Adrenalin noch im Blut, dennoch betont sachlich von unserer Fahrt: Einsätze mit Hubschrauber waren selten. Metz kam durch die Tür, im Eilschritt; schweigend hörte er dem Schluss der Geschichte zu, den ich einsilbiger wiedergab als den Rest. Schlager war ganz verstummt.
    Die letzten Worte versickerten. Nachdem ich geendet hatte, entstan d eine längere Pause. Dann fragte Metz: „Und – habt ihr etwas erfahren? Hattet ihr Erfolg?“
    Es gab keinen Zweifel, was er meinte. Noch nie stand mir so klar vor Augen, wie weit die Umdeutung der Worte, gefolgt von der Umdeutung der Werte, schon fortgeschri tten war. Die Suche nach dem obskuren Kern einer erfundenen Legende war wichtiger geworden als die Rettung eines Kinderlebens.
    Schlager, ohnehin schon hellhä utig, erbleichte. Sein dunkles, welliges, leicht fettiges Haar fiel in die Stirn, ein scharfer Kontrast.
    „ Erfolg?“ Er sah in die Runde. „Wahnsinnig seid ihr, allesamt. Ihr habt überhaupt keine Ahnung mehr, worum es geht.“ Er schluckte trocken.
    „ Von einem Kompass hat der Kleine gesprochen, der hätte ihm wohl den Weg weisen sollen. Ich hoffe, das hilft euch weiter. Ich hoffe, das ist Erfolg genug für euch. Er wäre fast dabei ertrunken.“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist es, was dabei herauskommt, wenn man an Zeichen und Wunder glaubt: Unfälle und ein beschissener Tod.“ Er stand auf, ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
    „ Langsam wird er untragbar“, sagte Metz nur. Dann sah er mich noch mal an und vergewisserte sich: „Stimmt das? Kompass? Richtung?“
    Ich nickte stumm. Ich fü hlte mich müde und ausgelaugt. Mir war ein wenig schlecht.

    Am Abend klopfte es an meiner Tür, Natalia. Es war bereits dunkel. Sie hatte etwas zum Essen mitgebracht, fast ein vollständiges, asiatisches Menü, transportfähig verpackt und noch warm. Da unsere Affäre nach wie vor ein Geheimnis war, und keiner von uns das zurzeit ändern wollte, trafen wir uns hier bei mir. Nach dem langen Dienst war mir das ganz recht.
    Aber wenn ich mir von ihrem Besuch Ablenkung erwartet hatte, wurde ich enttä uscht. Während wir aßen, fragte sie mich aus, wollte alles über den Einsatz wissen, über die Medikamente, die der Notarzt gegeben hatte, einschließlich Dosierung und Reihenfolge. Über den Ablauf der Hubschrauberrettung. Sachlich und mit wachsendem Widerwillen berichtete ich ihr, aber falls sie es bemerkte, dann war es ihr gleich. „Und dann?“, fragte sie nur weiter, ein wenig atemlos und mit nur einer Andeutung ihres harten Akzentes: „Und dann?“
    Und dann? Der Hubschrauber war schon wieder gestartet, die Polizei eingetroffen, was wollte sie denn noch? Was wollte sie von mir?
    Ich sah diesen erwartungsvo llen Glanz in ihren Augen, etwas zwischen dem Bedauern, nicht dabei gewesen zu sein, Bewunderung, Begierde und blinder Begeisterung, und es wurde mir unmöglich, weiterzuerzählen, die ganze Geschichte war unerträglich. Mit veränderter Stimme berichtete ich ihr von dem Schlaganfall zuvor in der Nacht, wie wir uns verfahren hatten und wenig rühmlich herumgeirrt waren; ich erzählte ihr genau das, was ich eigentlich hatte verheimlichen wollen. Doch ihr Blick blieb unverändert. Wenn die Faszination wenigstens daher gerührt hätte, dass wir einen Beitrag zur Rettung des Kindes hatten leisten können, aber es war etwas anderes, die Teilhabe an der Sensation und am Außergewöhnlichen, mag es auch schrecklich sein.
    Ich spü rte Kopfschmerzen und rieb mir die Schläfen. Sie stand auf und schob langsam die halbleeren Teller beiseite, setzte sich vor mich auf den Tisch, an dem wir über Eck gesessen hatten, legte eine Hand an meinen Kopf und zog mich dann mit langsamer Bestimmtheit an sich. Mit der anderen Hand begann sie ihren Rock zu lockern, und für einen Augenblick erschien mir das wie eine ziemlich gute Lösung für meine Probleme. Ich nahm ihren Geruch wahr, und wusste plötzlich, ein herber, angenehmer Duft, an den ich mich doch nie würde gewöhnen können. Irgendwann später, als sie, letztlich weit entfernt von mir, rücklings auf dem Tisch

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