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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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richtig an Land gezogen worden, aber im Augenblick gab es andere Prioritäten.
    Wä hrend Schlager mit dem Koffer in der Hand den abschüssigen Weg hinunter zum Wasser eilte, legte ich meinen Teil der Ausrüstung in den Sand und kehrte zurück, um per Funk einen zusätzlichen Rettungswagen sowie den Hubschrauber anzufordern. In diesem Augenblick verstanden wir uns blind, hatten ein gemeinsames Ziel: Alles zu tun, um den Jungen nicht zu verlieren.

    Wir arbeiteten konzentriert und schnell zusammen wie nie zuvor, und es gelang. Als das Geräusch rhythmisch zerschnittener Luft die Ankunft des Hubschraubers ankündigte, zeigte das EKG bereits wieder einen schwachen, aber regelmäßigen Puls bei unserem bleichen, kleinen Patienten; ein Zugang war gelegt, und das regelmäßige Geräusch der Beatmungsmaschine signalisierte eine gewisse Normalität. Wir hatten in der Zwischenzeit Verstärkung durch den Notarzt erhalten und den Jungen ins Auto gebracht, wo es wärmer war; die schwere, nasse Oberbekleidung entfernt, die Haut trockengerieben, so gut es ging, und eine Rettungsdecke über den Jungen gebreitet. Der Fahrer des Notarztes machte sich daran, den Hubschrauber einzuweisen, der oberhalb der Kiesgrube landen musste. Eine knappe Minute später waren Sanitäter und Arzt aus dem Hubschrauber bei uns, Kabel wurden von den Elektroden an der schmalen Kinderbrust gelöst, andere Kabel angeschlossen, der Beatmungsschlauch durch einen neuen ersetzt. Vorsichtig, damit die Verbindungen zu den Geräten sich nicht wieder lösten, betteten wir den kleinen Körper, leicht wie ein welkes Blatt, auf die Hubschraubertrage, ein kurzes Kopfnicken, und schon waren die beiden Männer wieder weg. Kurz schwoll das Geräusch der Rotoren an, ein unsteter Schatten zog über unsere Köpfe hinweg, dann kehrte mit einer gewissen Plötzlichkeit wieder Ruhe ein.

    Wir erinnerten uns des kleinen Mädchens und zogen das Boot, in dem es nach wie vor wimmernd saß, an Land. Während wir zusammenpackten, kamen die verbliebenen Kinder langsam und wie betäubt näher. Die Polizei war soeben eingetroffen, und das Mädchen, das uns am Tor erwartet hatte, fragte Schlager: „Werden wir Ärger bekommen? Weil wir Boot gefahren sind?“
    Der sah sie mit einem mü den, bekümmerten Blick an, und sagte: „Ziemlich sicher.“ Ein Lächeln deutete sich an auf seinen Zügen, und er nickte ihr ermutigend zu. „Ärger ist ganz normal, okay?“ Langsam wandte er den Blick zu mir her. Es war ein eigenartiger, vielschichtiger Moment. Sorge, Erschöpfung, Hoffnung verband uns, dazu eine Andeutung von Verstehen, nein, von der Möglichkeit , sich zu verstehen. Zwischen uns stand Lüge, Täuschung, ein erfundenes Geheimnis, aber es hätte vielleicht nur eines Satzes bedurft, um in diesem Augenblick die Barriere zu durchbrechen und den Widerspruch aufzulösen. Doch ich kannte die magischen Worte nicht, und da ich lieber schwieg, als nur irgendetwas zu sagen, verstrich die Gelegenheit ungenutzt. Sein Lächeln erlosch, und er wandte sich unserem Notfallkoffer zu, in dem nur mehr weniges am vorgesehenen Platz lag. „Und“, fragte er ohne mich anzusehen, „willst du sie nicht fragen, ob er noch etwas gesagt hat?“
    Die beiden Kinder standen noch da. Man spü rte, dass sie nach dem Schock eifrig darum bemüht waren, jetzt alles richtig zu machen, sich aus ihrer Lähmung zu befreien und zu helfen. „Er hat nur von seinem Kompass geredet, auch noch, nachdem wir ihn aus dem Wasser gezogen hatten. War ein Geschenk. So golden hat der geglänzt. Ist aber jetzt im See. Ein Geschenk von seinem Vater, der ist kurz nach Weihnachten ausgezogen.“
    Ungebeten verdichteten die wenigen Worte sich zu einer Geschichte. Vielleicht war es ein Erbstück gewesen, vielleicht ein billiges Spielzeug, in Fernost von Kinderhänden für Kinderhände gefertigt, über tausende von Kilometern verschifft, um hier für nicht einmal einen Halbstundenlohn verkauft zu werden. Aber was machte das für einen Unterschied für einen Jungen von zehn Jahren? Ich sah ihn im Bug des schwankenden Bootes aufstehen und den Kompass in die Höhe halten, als sei er der Steuermann eines Segelschiffes auf der Suche nach unbekanntem Land. Vielleicht hatte ein unglücklicher, zwiegespaltener Vater ihm das Geschenk übergeben in der theatralischen Hoffnung, es möge seinem Sohn die Richtung weisen, die er selbst verloren sah. Vielleicht hatte er auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise oder von einem Wochenende mit der anderen

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