Circulus Finalis - Der letzte Kreis
klang, trocken und abgeklärt. Ich stellte mich als Freund ihres Sohnes vor, und erkundigte mich nach seinem Verbleib.
Sie zö gerte einen Moment. „Sie wissen, dass er nach Syrien gereist ist?“ Ich bejahte. Das schien für sie ausschlaggebend zu sein, mir weitere Informationen zu geben.
„ Er sitzt im Gefängnis.“
„ Was?“
„ Im Gefängnis. Als Deserteur.“
„ Was?“
Sie erklä rte mir, dass seine syrische Staatsangehörigkeit zumindest nach Ansicht der dortigen Behörden aufrecht und er damit wehrpflichtig sei.
„ Wie geht es ihm“, fragte ich wenig einfallsreich.
„ Ganz gut sagt er, aber er macht Witze, über die er selbst nicht lacht.“ Sie sprach jetzt langsam und mühevoll. „Er bat uns darum, nichts zu unternehmen, weil es seine Lage nur verschlimmern würde. Er habe einen Anwalt, und der versichere ihm, dass man ihn wohl noch eine Weile festhalten und dann die Untersuchungshaft gegen den Wehrdienst aufrechnen würde. Dann kommt er zurück.“
Wenn jemand, mit dem man vertraut ist, ein Freund sogar, zu Unrecht im Gefängnis sitzt – immerhin hatte Siad hierzulande mit einigem Stolz Wehrdienst geleistet, und konnte ja wohl nicht in zwei Armeen dienen – dann sollte man eigentlich spontan an Unterschriftensammlungen, Pressekontakte, Amnesty und alles andere denken, was ihm vielleicht helfen konnte.
Stattdessen ü berlegte ich, was seine fortgesetzte Abwesenheit für meine eigene Situation bedeutete. Der Nachmittagstermin mit Metz lag wie eine schwarze Wolke über meinem Gemüt. Die unausgesprochene Überzeugung, dass Siads Missgeschick irgendetwas mit unserem Spiel zu tun hatte, dass ich daran Schuld trug, wurde ich nicht los, auch wenn es keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang gab.
Metz hatte angeboten, mich abzuholen, und da mich die Unruhe hinaustrieb aus der Wohnung, wartete ich zur vereinbarten Zeit unten vor der Tür. Noch immer hatte ich mich noch nicht entschließen können, ob es klug wäre, ihm zu erzählen, wo wir meiner Ahnung zufolge weitersuchen sollten. Einerseits sträubte sich alles in mir dagegen, denn wenn die Ahnung sich bestätigen sollte, war völlig offen, wohin das führen würde. Andererseits hatten Siad und ich uns ursprünglich darauf geeinigt, dass am Schluss die Enthüllung der Legende als reine Erfindung stehen sollte. Insofern war es sinnvoll, bei der Entschlüsselung des Rätsels zu helfen. Nur hatten wir nicht vereinbart, wie die finale Botschaft aussehen sollte, und ich war mir keineswegs mehr sicher, dass damit tatsächlich alles beendet sein würde. Ich brauchte mehr Informationen.
In dem Augenblick, als ich Metz’ Allerweltsauto an der Ampel erkannte, wurde mir klar, dass ich mir einen Vorsprung verschaffen musste. Anska saß auf dem Beifahrersitz. Sie hatten mich aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht gesehen, zumal sie mich nicht vor der Tür vermuten würden, und ich drückte mich schnell hinter die verglaste Reklametafel der Bushaltestelle. Die Ampel schaltete auf grün, und geduckt trat ich zurück, übersprang ein niedriges Gebüsch und gelangte so auf den etwas niedriger gelegenen, zum Haus gehörigen Parkplatz. Aus einem Fenster im dritten Stock sah eine Frau, der ich noch nie begegnet war, verblüfft herunter. Mit wenigen Schritten entzog ich mich ihrem Blick und gelangte zur Rückseite des Hauses.
Eine knappe Viertelstunde wartete ich zwischen den gusseisernen Müllcontainern, dann machte ich mich im bereits schwindenden Tageslicht vorsichtig auf den Weg. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich den Kollegen zu entziehen, mit denen ich seit einer Zeit, die mir viel länger erschien, als sie tatsächlich war, fast täglich zusammengearbeitet hatte. Es war mehr als ein nicht eingehaltener Termin, es war eine Flucht, auch wenn ich es vermied, mir das einzugestehen. Zu erraten, was die beiden denken würden, war schwierig, aber für zwei Menschen, die sich selbst als Geheimnisträger sahen, war der Gedanke an irgendeine Art von Verschwörung vermutlich nicht so abwegig.
Über einen schmalen Gehweg gelangte ich auf die Parallelstraße, an der eine Telefonzelle stand; schnell bestellte ich mir ein Taxi. Das schien mir unverdächtiger, als mein übliches Verkehrsmittel, den Bus, zu benutzen. Ich ließ mich zu einem Optikgeschäft an einer der in die Peripherie führenden Ausfallstraßen bringen. Dort kaufte ich einen Marschkompass und eine Taschenlampe, während das Taxi mit laufendem Motor wartete.
„ Und wohin jetzt?“
Der
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