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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Seite nicht viel mehr als die andere, das einzig Wichtige war die Annäherung an das Geheimnis.
    Bevor Wegmann, dessen Augen noch drauß en verweilten, antworten konnte, sagte ich:
    „ Ja, hat er: Ihr Mörder.“
    Einen Moment war ich stolz auf meinen spontanen Einfall und seine Wirkung: Wegmanns Kopf flog herum, offenmundig starrte er mich an. Das Flackern in seinem Blick hatte ein bedenkliches Maß angenommen. Lambertus stand ganz still, nur seine beweglichen Augen tanzten unruhig hin und her zwischen uns; Metz Körperspannung hatte sich verändert, als erwarte er einen Schlag in die Magengrube. Nur Härting stand beinahe unverändert, und für einen Augenblick kam es mir so vor, als ob er lächelte.
    Der Triumph war nur kurz, ein Gefü hl der Beklemmung legte sich um meinen Brustkorb und machte das Atmen schwer. Der Kopfschmerz war wieder da, oder immer noch, und es war mir, als ob mit Schlager, den ich im Leben nicht besonders gemocht hatte, das Licht der Vernunft die Welt verlassen habe. Der Raum schrumpfte um mich zusammen, und ich nutzte die Bewegungslosigkeit der anderen Darsteller, um ihn zu verlassen.

31
    Schlaf, diese Naturgewalt, der wir uns anzupassen vermögen oder eben nicht, die uns in ihrem eigenen Rhythmus überrollt wie eine Welle, unter der wir hindurchtauchen und die dann bricht, und die mich oft lang genug umfangen hielt, als dass sich jemand hätte Sorgen machen können, wäre ich nicht allein gewesen –
    Doch in der Nacht schlief ich kaum. Die uneingestandene Befü rchtung, dass in irgendeiner Form mit Repressalien zu rechnen sei, jetzt, da ich mich außerhalb des Kreises gestellt hatte, trug dazu bei; auch die Bilder von Schlager natürlich, wie er, durchlässig werdend wie ein Sieb, sich langsam verfärbte. Stundenlang drehte ich mich von einer Seite auf die andere, stand einmal auf, um mich zu vergewissern, dass das Telefon ausgestreckt war, dann, um die Tür ein zweites Mal abzuschließen. Irgendwann lange nach Mitternacht setzte ich mich an den Tisch, öffnete trotz der Kühle der klaren Nacht das Fenster, und versuchte im kalten Licht ferner Sterne meine zirkulären Gedankengänge in eine geordnete Form zu bringen.
    Zum allerersten Mal war mir der Ernst der Lage vollstä ndig bewusst geworden. Das Gefühl, das ich in dieser Klarheit erst bei der Besprechung am Abend wahrgenommen hatte, war mehr als eine Ahnung. Die Anzahl der Hinweise war im Grunde genommen erdrückend, spätestens seit Gelis Selbstmordversuch. Und doch gab es keine Handhabe, um offizielle Stellen zu informieren, denn es fehlten Beweise für konkrete Straftaten. Die wirre Geschichte, die ich anzubieten hatte, würde niemanden zu raschem Handeln veranlassen. Und Schlager, der den bedrohlichen Aspekt der Geschichte lange vor mir erkannt hatte, und der allein mir hätte helfen können, war tot.
    Bisher hatte ich mich darü ber hinwegtäuschen lassen, dass meine Erfindung eine lebensfeindliche Eigendynamik erlangt hatte, und hatte unbeeindruckt noch mitgemacht, mal aus Neugier, mal aus Eitelkeit, immer die Illusion von Kontrolle bewahrend. Dabei war mein Handeln von einer ungeheuren Naivität bestimmt gewesen, die mit dem Engagement und der Voraussicht von Metz und den anderen nicht hatte Schritt halten können. Es war höchste Zeit, das zu ändern; ich musste einen Weg finden, mir einen Vorteil zu verschaffen, die Situation realistisch zu betrachten, den anderen einen Schritt voraus zu sein statt weit hinterher, und die Absurdität und Willkür der Idee hinter dem Circulus Finalis zu offenbaren.
    Ich hatte angenommen, dass die Vernunft, ü bel provoziert und beleidigt von einer vagen Geschichte, sich bald durchsetzen würde. Und, wenn nicht, dass die Differenzen zwischen den Personen, die unterschwelligen Gefühle von Konkurrenz, Misstrauen und Neid ein gemeinsames Tun unmöglich machen, dass sich die Eigenheiten im arithmetischen Sinne ausgleichen würden. Doch stattdessen richtete sich das Handeln der Kollegen unter dem Einfluss dieser Legende nach einem gemeinsamen Ziel aus, so wie Eisenspäne nach den Linien eines Magnetfeldes.
    Und Hä rting? Er wirkte nach wie vor ein wenig zögerlich, aber auch er, der Überlegte, der Rationale, hatte bisher keine Bedenken geäußert. Vielleicht ging ihm die Kindergeschichte mit dem Kirschbaum nicht aus dem Kopf, vielleicht spielte sich hinter seinen ruhigen, grauen Augen ein Kampf mit dem Unbegreiflichen ab, der an der Oberfläche nicht zu erkennen war. Vielleicht rang er um den

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